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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ein sicheres Erkennungsmerkmal des Schwarzen Erbrechens gewesen wäre. Gegen das Erbrechen sprach auch die Gesichtshaut, die keine Spur einer Gelbverfärbung aufwies. Dafür waren die Lymphknoten am Hals geschwollen, was allerdings nicht überraschte. Bei Fiebererkrankungen trat derlei häufig auf. Vitus musste an Jaime denken, dem Kantharidin und Mäusedorn wieder auf die Beine geholfen hatten, doch er entschloss sich, vom Gebrauch beider Arzneien zunächst einmal abzusehen. In der Medizin war es wie in der Kochkunst: Zu viele Kräuter hoben einander in der Wirkung auf.
    »Und wie ist die Diagnose des Herrn Cirurgicus?«, meldete Arlette sich schwach.
    »Die steht noch nicht fest«, lächelte er und tastete behutsam die Organe des Leibes ab. Alles fühlte sich normal an, auch die Leber – ein weiteres Zeichen, das gegen das Schwarze Erbrechen sprach. Er drückte auf Magen und Darm. »Tut es hier weh?«
    »Nein. Doch! Da unten. Etwas …«
    »Lass sehen.« Er schob ihr Nachtgewand gänzlich zur Seite und – erstarrte.
    Aus Arlettes Leisten ragten mehrere eigroße Beulen hervor. Sie sahen verfärbt aus und wirkten bösartig. Mit aller Kraft schob er den ungeheuren Verdacht, der sich ihm aufdrängte, beiseite. »Ah ja«, hörte er sich sagen, »vielleicht sind es Bubonen, vielleicht auch nicht.« Nachdem er sich gefangen hatte, begann er die Beulen zu betasten. Sie fühlten sich weich und elastisch an, und es dauerte nicht lange, bis er festgestellt hatte, dass es sich um stark vergrößerte Lymphknoten handelte. Ein weiteres Symptom, und kein gutes …
    »Was sind Bubonen?«, fragte Arlette. In ihrer Stimme schwang Angst mit.
    Er schalt sich dafür, dass er sich so schlecht unter Kontrolle hatte. Er musste Optimismus verbreiten! »Bubonen«, entgegnete er beiläufig, »sind nichts als Beulen.«
    »Sind … sind sie ein schlimmes Zeichen?«
    »Iwo. Es ist das Fieber, das sie aus dem Körper heraustreibt.« Er hoffte inbrünstig, dass er ihr damit die Wahrheit gesagt hatte, und setzte seine Untersuchung fort.
    Dann sah er sie. Die kleinen Einstichstellen an den Fesseln. Hinterlassenschaften der widerwärtigen Flöhe aus dem Golden Galley. Um die Stellen herum hatte die Haut sich schwärzlich verfärbt. Der Befund war eindeutig: nekrotische Läsionen … und diese in Verbindung mit Bubonen!
    Er war wie vor den Kopf geschlagen. Lass dir nichts anmerken! Lass dir um Gottes willen nichts anmerken!, beschwor er sich. Vielleicht ist das alles gar nicht wahr, vielleicht hat das alles gar nichts zu bedeuten! Gott der Allmächtige hat nicht immer wieder seine schützende Hand über Arlette gehalten, nur damit sie jetzt … Doch er wusste, dass er sich etwas vormachte.
    Arlette hatte die Pest.
     
    »Warum bist du vorhin so schnell fortgelaufen?« Arlettes Stimme war nur ein Hauch.
    »Mir war plötzlich etwas eingefallen, Liebste«, log er, und er wusste, dass er sie in den nächsten Tagen noch öfter anlügen würde, denn er brachte es nicht fertig, ihr die Wahrheit zu sagen. Er war aufgesprungen, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte, war aus dem Zimmer gestürmt und so schnell er konnte zum Magister gelaufen. Der kleine Gelehrte hatte sich am nahe gelegenen See aufgehalten, wo er voll Muße den Stock- und Krickenten zusah, die eifrig im Wasser gründelten. »Magister, ich muss dich sprechen!«, hatte Vitus gerufen.
    »Nanu? Warum so förmlich?« Der kleine Gelehrte hatte geblinzelt und auf die Enten gewiesen. »Sie kommen mit der Zeit immer näher, possierlich, nicht wahr? Vielleicht wissen sie, dass ich sie beobachten möchte, oder sie haben sich an mich gewöhnt.«
    »Mir ist wahrhaftig nicht danach zumute, über Enten zu reden.« Vitus hatte ohne Umschweife von seinem furchtbaren Verdacht gesprochen, und der Magister hatte genauso fassungslos reagiert wie er selbst.
    »Das darf nicht wahr sein! Wenn es einen Gott gibt, und es gibt einen, dann kann er nicht zulassen, dass sie … nun, nun, du weißt schon.«
    »Ja. Ich bete darum, dass sie überlebt.«
    Nach einer Weile hatte der kleine Mann sich wieder gefangen, und sein Pragmatismus setzte sich durch. »Dir als Arzt muss ich es ja nicht sagen, aber es gibt doch zwei Arten der Pest: die Lungenpest und die Beulenpest. Um welche, meinst du, handelt es sich?«
    »Die Beulenpest.«
    Der Magister hatte das Kreuzeszeichen gemacht. »Dem Allmächtigen sei wenigstens dafür Dank! Wenn es die Bubonenpest ist, besteht noch Hoffnung.«
    »Ja, ich will alles tun, was in

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