Der Chirurg von Campodios
nicht nur, ich beweise es auch.« Der Advocatus griff neben sich, wo die peinlich ausgerichteten Pergamentrollen lagen. »Ich habe hier beglaubigte und gesiegelte Aussagen von Zeugen, die vor Gott und der Welt geschworen haben, dass Jean Collincourt mit Warwick Throat ein Verhältnis hatte. Wenn Ihr Einsicht nehmen wollt, bitte, bedient Euch.« Hornstaple dachte nicht daran, seinem Kollegen die Papiere zu bringen. Aber das war auch nicht nötig, denn der Magister war schon auf dem Weg. Er hielt die Schriftstücke dicht vor seine Augen, prüfte sie lange, wobei er mehrfach blinzelte, las alles bis zur letzten Zeile durch und gab sie dann zurück. Wer ihn kannte, wusste, dass Hornstaple fortan einiges zu erwarten hatte.
»Gehe ich recht in der Annahme, Herr Kollege«, der kleine Mann sprach das Wort »Kollege« wie ein Schimpfwort aus, »dass Ihr es selbst wart, der die Aussagen aufnahm und beglaubigte?«
»Allerdings. Wollt Ihr etwa meine Integrität in Zweifel ziehen?«
»Nein, oh, nein!« Der Magister setzte sich wieder neben seine Freunde. »Ich ziehe nur in Zweifel, dass Warwick Throat der Vater von Jeans Kind ist.«
»Die Dokumente sind echt.«
»Sie mögen echt sein, aber ihr Inhalt ist falsch.«
»Wie könnt Ihr das behaupten! Meine Zeugen haben alles mit angesehen: die Gespräche, das Gekicher, das verliebte Getue, die Küsse, die Umarmungen am geheimen Ort …«
»Der Mensch neigt dazu, Dinge zu sehen, die es nicht gibt, und Worte zu hören, die nie gesagt wurden.«
»Aber, aber …«
»Wer von Euren Zeugen war beim Zeugungsakt dabei?«
»Nun …«
»Also keiner. Könnt Ihr wenigstens zweifelsfrei ausschließen, dass Jean im fraglichen Zeitraum mit anderen Männern Kontakt hatte?«
»Ich muss doch sehr …« Langsam und widerstrebend löste die Spinne ihre Umklammerung.
»Haben Warwick Throat und Jean Collincourt seinerzeit geheiratet?«
»Nein, das nicht …«
»Ich stelle also fest, dass weder eine Ehe geschlossen wurde noch ein Liebesakt unter Zeugen stattfand noch ausgeschlossen werden kann, dass Jean mit anderen Männern Kontakt hatte. Ich stelle ferner fest, dass ein nicht angeheirateter Kindesvater, sollte er denn tatsächlich der Erzeuger sein, ohnehin nicht erbberechtigt sein dürfte. Oder könnt Ihr mir einen Präzedenzfall im englischen Recht nennen, Herr Kollege? Aha, Ihr könnt es nicht. Ich dachte es mir. Nichtsdestoweniger erlaubt Ihr Euch, auf dem Boden derartig dürftiger Vermutungen den Anspruch auf ein Schloss, einen Gutshof und ausgedehnte Ländereien zu erheben.«
»Sir, ich muss …«
»Und alles das für einen Leinenweber namens Warwick Throat! Wo ist der Bursche eigentlich? Weiß er überhaupt von seinem Glück? Am Ende gibt es ihn gar nicht? Und wenn ja, vielleicht steckt Ihr mit ihm unter einer Decke?« Der kleine Gelehrte erhob sich drohend. »Papier ist geduldig, Herr Kollege, und die Natur spricht eine deutlichere Sprache. Habt Ihr Euch einmal die Ahnengalerie der Collincourts angesehen? Nein? Nun, wenn Ihr sie abschreitet, werdet Ihr feststellen, dass die männlichen Vorfahren von Jeans Kind allesamt ein kräftiges Grübchen im Kinn hatten. Und nun richtet Euren Blick freundlicherweise auf diesen Mann.« Er wies auf Vitus. »Auch er hat, abgesehen von weiterer Familienähnlichkeit, ein Grübchen im Kinn. Und nun dürft Ihr dreimal raten, was das wohl zu bedeuten hat!«
»Das heißt überhaupt nichts.« Hornstaple wirkte plötzlich gar nicht mehr so wichtig und würdevoll, sondern eher nervös. Die Spinne zog sich zurück. »Die Eigentumsverhältnisse sind keineswegs geklärt, und die Beweispflicht …«
»Schnickschnack!
Dominus habetur qui possidet, donec probetur contrarium!
Dieser alte Rechtssatz dürfte auch in England seine Gültigkeit haben. Und falls Eure Lateinkenntnisse nicht mit dem Grad Eurer Wichtigtuerei Schritt halten können, will ich ihn gern übersetzen. Er heißt: Für den Eigentümer wird gehalten, wer besitzt, bis das Gegenteil bewiesen wird. Und da es zweifellos so ist, dass Vitus von Campodios dieses Schloss und alles andere besitzt, er wohnt ja de facto hier und wird als Herr anerkannt, ist er es auch, der als Eigentümer anzusehen ist. Jedenfalls so lange, bis Ihr, Herr Kollege, in der Lage seid, schlüssig und zweifelsfrei das Gegenteil zu beweisen. Zusammenfassend konstatiere ich also, dass Vitus von Campodios unter gewissen, sehr unwahrscheinlichen Umständen kein Collincourt ist – ich betone: unter gewissen, sehr
Weitere Kostenlose Bücher