Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
»Zumal der Winter vor der Tür steht. Jizaemons Geld ist fast alle.«
Hisao wusste bereits, dass es so weit im Westen nur wenige Kikutafamilien gab, die in den Jahren der Herrschaft der Otori zudem stark an Macht und Einfluss verloren hatten. Trotzdem wurde Akio ein paar Abende später von einem jungen Mann mit scharf geschnittenem Gesicht aufgesucht, der ihn sowohl ehrerbietig als auch freudig begrüÃte, als Meister anredete und die geheimen Worte und Zeichen der Kurodafamilie benutzte. Er hieà Yasu. Er stammte aus Hofu, und weil er dort Ãrger wegen des Schmuggels von Feuerwaffen bekommen hatte, war er nach Kumamoto geflohen.
»Ich bin ein toter Mann!«, scherzte er. »Lord Arai sollte mich auf Befehl Otoris hinrichten, aber zum Glück schätzt er mich so sehr, dass er an meiner Stelle jemand anderen töten lieÃ.«
»Gibt es viele, die wie du Arai dienen?«
»Ja, viele. Wie Sie wissen, sind die Kuroda immer den Muto gefolgt, aber wir haben auch viele Verbindungen zu den Kikuta. Denken Sie nur an den groÃen Shintaro! Halb Kuroda, halb Kikuta.«
»Wie Kotaro von den Otori ermordet«, bemerkte Akio leise.
»Es gibt noch viele ungesühnte Tode«, stimmte Yasu zu. »Zu Lebzeiten Kenjis gab es eine Art Gleichgewicht, aber seit Shizuka Oberhaupt der Familie ist, sieht das anders aus. Alle sind unzufrieden. Erstens, weil es nicht rechtens ist, von einer Frau geführt zu werden, und zweitens, weil Otori für ihre Einsetzung gesorgt hat. Zenko müsste das Oberhaupt sein, denn er ist der älteste männliche Erbe, und wenn er ablehnt, weil er ein groÃer Lord ist, sollte Taku die Führung übernehmen.«
»Taku ist ein Herz und eine Seele mit Otori, und auÃerdem war er in Kotaros Tod verwickelt«, sagte Kazuo.
»Ja, aber damals war er noch ein Kind und man kann ihm vergeben. Auf jeden Fall ist es falsch, dass sich die Muto und Kikuta so sehr voneinander entfremdet haben. Auch das liegt an Otori.«
»Wir sind gekommen, um wieder Brücken zu bauen und Wunden zu heilen«, lieà Akio ihn wissen.
»Genau das habe ich gehofft. Lord Zenko wird hocherfreut sein, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen.«
Yasu bezahlte den Wirt und nahm die drei mit in seine eigene Unterkunft, die sich hinter einem Laden befand, in dem er Messer und Küchengeräte verkaufte, Kochtöpfe, Kessel, Haken und Ketten für die Kochstellen. Er liebte alle Messer, von den groÃen Hackmessern, die die Köche im Schloss benutzten, bis zu den winzigen, rasiermesserscharfen Klingen, mit denen man lebende Fische zerlegte. Als er Hisaos Interesse an jeder Art von Werkzeug bemerkte, nahm er ihn mit zu einer der Schmieden, bei denen er seine Waren kaufte. Einer der Schmiede, Koji, brauchte einen Helfer, und so wurde Hisao dessen Lehrling. Das gefiel ihm, und zwar nicht nur wegen der Arbeit â er war geschickt darin und sie faszinierte ihn â, sondern auch, weil er auf diese Weise mehr Freiheit hatte und Akios bedrückender Gesellschaft entkam. Seit dem Aufbruch von zu Hause sah erseinen Vater mit neuen Augen. Er wurde langsam erwachsen. Er war kein Kind mehr, das man ständig bevormunden und herumschubsen konnte. Im nächsten Jahr würde er siebzehn Jahre alt werden.
Auf Grund eines komplizierten Systems von Schulden und Verpflichtungen kam er durch seine Arbeit für Koji für ihre Verpflegung und Unterkunft auf, obwohl Yasu oft behauptete, kein Geld vom Meister der Kikuta annehmen zu wollen, denn ihm genüge die Ehre, diesem zu Diensten sein zu dürfen. Doch Hisao war der Ansicht, dass er jemand war, der rechnete und nichts verschenkte: Wenn Yasu ihnen jetzt half, dann nur deshalb, weil er sich für die Zukunft einen Gewinn davon versprach. AuÃerdem wurde Hisao bewusst, wie alt Akio geworden und wie überholt dessen Denken war â fast hatte es den Anschein, als wäre es durch die Jahre der Isolation in Kitamura erstarrt.
Er merkte, wie sehr Yasus Aufmerksamkeit Akio schmeichelte, und dass sein Vater auf eine Weise nach Achtung und Rang hungerte, die in dieser turbulenten, modernen Stadt, die in den vielen Jahren des Friedens aufgeblüht war, fast altmodisch wirkte. Der Clan der Arai war stolz und selbstbewusst. Ihre Ländereien erstreckten sich inzwischen über den ganzen Westen: Hofu und Noguchi gehörten ihnen. Sie kontrollierten die Küste und die SchifffahrtsstraÃen. Kumamoto wimmelte
Weitere Kostenlose Bücher