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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Hälfte der Welt einnahm, die Frau, seine Mutter.
    Ihre Miene war bittend, zärtlich und erschrocken. Als die Wucht ihrer Bitte ihn traf, wurde ihm übel. Der Schmerz wurde unerträglich. Er konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken und dann spürte er, dass ihm alles hochkam. Er fiel auf Hände und Knie, kroch zur Türschwelle und erbrach sich in die Gosse.
    Der Wein schmeckte sauer in seinem Mund. Tränen traten ihm in die schmerzenden Augen, der kalte Schneeregen ließ sie auf seinen Wangen gefrieren.
    Die Frau war ihm nach draußen gefolgt und schwebte über der Erde, ihr Umriss verwischt von Dunst und Schnee.
    Von drinnen rief Akio: »Wer ist da? Hisao? Mach die Tür zu, es ist eiskalt.«
    Seine Mutter sprach. Ihre Stimme erklang in seinem Inneren, schneidend wie Eis. »Du darfst deinen Vater nicht töten.«
    Er hatte nicht gewusst, dass er dies tun wollte. Auf einmal bekam er Angst davor, dass sie vielleicht all seine Gedanken kannte, sowohl seinen Hass als auch seine Liebe.
    Die Frau sagte: »Ich werde es nicht zulassen.«
    Ihre Stimme war kaum zu ertragen, sie zerrte an all seinen Nerven, ließ sie brennen. Er versuchte, sie anzuschreien. »Geh weg! Lass mich in Ruhe!«
    Trotz seines Stöhnens hörte er, wie Schritte näher kamen, und dann erklang Yasus Stimme.
    Â»Ja, um Himmels willen!«, sagte er, und dann rief Yasu nach Akio: »Meister! Kommen Sie schnell! Ihr Sohn …«
    Sie trugen ihn hinein und wuschen ihm das Erbrochene aus Gesicht und Haar.
    Â»Der Dummkopf hat zu viel Wein getrunken«, sagte Akio. »Das ist nichts für ihn. Er hat nicht den Kopf dafür. Lassen wir ihn seinen Rausch ausschlafen.«
    Â»Er hat kaum Wein getrunken«, sagte Yasu. »Er kann nicht betrunken sein. Vielleicht ist er krank?«
    Â»Er hat ab und zu Kopfschmerzen. Schon seit der Kindheit. Halb so wild. Nach ein oder zwei Tagen sind sie verschwunden.«
    Â»Armer Junge! Ohne Mutter aufzuwachsen«, sagte Yasu halb zu sich selbst, als er half, Hisao hinzulegen und zuzudecken. »Er zittert, er friert. Ich braue ihm einen Schlaftrunk.«
    Hisao trank den Tee, und allmählich wurde ihm wieder warm. Das Zittern ließ nach, nicht aber der Schmerz, und die Stimme der Frau erklang immer noch. Nun schwebte sie im dunklen Zimmer – er brauchte keine Lampe, um sie erkennen zu können. Ihm war dumpf bewusst, dass der Schmerz nachlassen würde, wenn er ihr zuhörte, aber er wollte nicht wissen, was sie zu sagen hatte. Er umgab sich mit dem Schmerz wie mit einem Verteidigungswall und dachte an die wundersame kleine Feuerwaffe und daran, wie gern er diese schmieden würde.
    Der Schmerz ließ ihn rasen wie ein gequältes Tier. Er wollte ihn an jemand anderem auslassen.
    Der Tee betäubte seine Gefühle ein wenig und er schlief kurz ein. Als er erwachte, hörte er Akio und Yasu miteinander reden, hörte das leise Klirren der Weinschalen und die Geräusche, die sie beim Schlucken machten.
    Â»Zenko ist zurück«, sagte Yasu. »Ich bin der Ansicht, dass es zum Besten aller wäre, wenn Sie ihn aufsuchten.«
    Â»Das ist der Hauptgrund für meinen Besuch hier«, erwiderte Akio. »Kannst du ein Treffen organisieren?«
    Â»Mit Sicherheit. Zenko dürfte ein großes Verlangen danach haben, den Streit zwischen Muto und Kikuta beizulegen. Und im Übrigen sind Sie durch Heirat miteinander verwandt, oder? Ihr Sohn und Zenko sind doch Großcousins.«
    Â»Besitzt Zenko irgendwelche Stammesfähigkeiten?«
    Â»Anscheinend nicht. Er kommt nach seinem Vater, er ist ein Krieger. Anders als sein Bruder.«
    Â»Mein Sohn hat kaum Gaben«, gestand Akio. »Er hat zwar einiges gelernt, besitzt aber keine angeborenen Fähigkeiten. Das war eine große Enttäuschung für die Kikuta. Seine Mutter war hochbegabt, aber sie hat nichts davon an ihren Sohn vererbt.«
    Â»Er ist geschickt mit den Händen. Koji spricht in den höchsten Tönen von ihm – und Koji lobt normalerweise niemanden.«
    Â»Aber das reicht nicht, um es mit Otori aufzunehmen.«
    Â»Haben Sie darauf gehofft? Dass Hisao der Attentäter wäre, der Takeo schließlich doch noch erwischt?«
    Â»Ich werde erst ruhen, wenn Otori tot ist.«
    Â»Ich verstehe Ihre Gefühle, aber Takeo ist klug und außerdem hat er viel Glück. Darum müssen Sie mit Zenko reden. Ein Heer von Kriegern könnte dort Erfolg

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