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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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von Händlern, und es gab sogar einige Ausländer, nicht nur aus Shin und Silla, sondern auch, wie behauptet wurde, ein paar Barbaren von den Inseln des Westens – mit eichelfarbenen Augen, dichten Bärten und heiß begehrten Waren.
    Ãœber ihre Anwesenheit in Kumamoto wurde nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert, denn die ganze Stadt wusste von Otoris unsinnigem Verbot des direkten Handels mit den Barbaren. Der ganze Handel mit ihnen musste über die Zentralregierung des Otoriclans in Hofu abgewickelt werden, dem einzigen Hafen, den ausländische Schiffe offiziell anlaufen durften. Laut allgemeiner Meinung war dies so, weil das Mittlere Land nicht nur die Gewinne für sich behalten wollte, sondern auch all jene praktischen und nützlichen Erfindungen, die, was die Kriegführung betraf, so wirksam und todbringend waren. In den Arai schwelte eine Wut über diese Ungerechtigkeit.
    Hisao hatte nie einen Barbaren zu Gesicht bekommen, doch die Erzeugnisse, die Jizaemon ihm gezeigt hatte, hatten sein Interesse geweckt. Yasu kam abends oft zur Schmiede, um neue Bestellungen aufzugeben, einen frischen Vorrat an Messern mitzunehmen oder Holz für die Schmiedeöfen zu bringen. Eines Tages erschien er in Begleitung eines großen Mannes in langem Umhang, der sein Gesicht mit einer Kapuze verhüllt hatte. Sie kamen gegen Abend, es dämmerte schon, und der bleierne Himmel verhieß Schnee. Es war um die Mitte des elften Monats. Der Feuerschein war die einzige Farbe in der grauen und schwarzen Welt des Winters. Sobald er die Schmiede betreten hatte, warf der Fremde die Kapuze zurück, und Hisao stellte voller Überraschung und Neugierde fest, dass es sich um einen Barbaren handelte.
    Der Barbar konnte sich kaum mit ihnen unterhalten, da er nur ein paar Worte in ihrer Sprache kannte, doch sowohl er als auch Koji waren Menschen, die mit den Händen redeten und sich mit Geräten besser auskannten als mit Sprachen. Als Hisao ihnen durch die Schmiede folgte, stellte er fest, dass es ihm genauso ging. Er verstand ebenso rasch wie Koji, was der Barbar meinte. Der Fremde war von ihren Arbeitsmethoden fasziniert, studierte alles mit seinen flinken, hellen Augen, skizzierte ihre Öfen, Blasebälge, Kessel, Gussformen und Rohre. Später, als sie heißen Wein tranken, holte er ein seltsam gefaltetes Buch hervor, das nicht mit der Hand geschrieben, sondern gedruckt war, und zeigte ihnen Bilder, auf denen es unverkennbar um das Schmieden ging. Koji brütete mit gerunzelter Stirn über den Bildern und kratzte sich hinter den Ohren. Hisao, der neben ihm kniete und im Dämmerlicht etwas zu erkennen versuchte, merkte, wie seine Aufregung mit jedem Umblättern wuchs. Ihm schwirrte der Kopf angesichts all der neuen Möglichkeiten, die ihm da enthüllt wurden. Die Details der Schmiedetechniken wichen genauen Illustrationen der Erzeugnisse. Die letzten Seiten zeigten mehrere Feuerwaffen, die meisten davon jene langen, unhandlichen Musketen, die Hisao schon kannte, doch eine, ganz unten auf der Seite, zwischen die anderen Zeichnungen geschoben wie ein Fohlen zwischen die Beine seiner Mutter, maß nur ein Viertel der Länge der Gewehre. Er tippte unwillkürlich mit dem Zeigefinger darauf.
    Der Barbar lachte leise. »Pistola!« Er tat so, als versteckte er sie unter seinen Kleidern, zöge sie dann hervor und richtete sie auf Hisao.
    Â»Pa! Pa!« Er lachte. »Morto!«
    Etwas Schöneres hatte Hisao noch nie gesehen und sofort erwachte sein Begehren nach dieser Waffe.
    Der Mann rieb die Finger aneinander und alle verstanden ihn. Waffen dieser Art waren teuer. Aber man konnte sie herstellen, dachte Hisao, und er beschloss zu lernen, eine zu schmieden.
    Yasu schickte Hisao weg, weil es nun um Geld ging. Der Junge räumte die Schmiede auf, ließ das Feuer herunterbrennen und bereitete alles Nötige für den nächsten Tag vor. Er kochte Tee für die Männer, füllte ihre Weinschalen und ging nach Hause, den Kopf voller Ideen. Doch ob es nun an diesen Ideen lag, dem ungewohnten Wein oder dem eisigen Wind, der ihn nach der Hitze der Schmiede umwehte – auf jeden Fall schmerzte sein Kopf, und als er Yasus Haus erreichte, konnte er nur die Hälfte des Gebäudes und die Hälfte der ausgestellten Messer und Äxte erkennen.
    Er stolperte über die Stufe, und als er das Gleichgewicht wiederfand, erblickte er in jener nebeligen Leere, die nun eine

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