Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
schnell, dies geheim zu halten, denn einmal hatte er eine Katze gestreichelt und danach mit ansehen müssen, wie sein Vater dem fauchenden, kratzenden Tier die Kehle durchschnitt. Auch der Geist der Katze schien ihn manchmal in die Welt der Toten ziehen zu wollen, und wenn das geschah, wurde das panische Fauchen in seinen Ohren so laut, dass er glaubte, andere müssten es hören können. Wenn sich die anderen Welten für ihn auftaten, zersprang sein Kopf fast vor Schmerz und sein Blickfeld trübte sich zur Hälfte ein. Nur die Arbeit mit den Händen linderte den Schmerz und den Lärm und lenkte ihn von der Katze und der Frau ab. Wie sein UrgroÃvater baute er Wasserräder oder Rehscheuchen aus Bambus, als wäre ihm dieseGabe mit in die Wiege gelegt worden. Seine aus Holz geschnitzten Tiere wirkten auf magische Art lebendig und die Schmiedekunst übte eine groÃe Faszination auf ihn aus: die Herstellung von Eisen und Stahl; von Schwertern, Messern und Werkzeugen.
Die Kikuta waren geschickte Waffenschmiede, vor allem, was die geheimen Waffen des Stammes betraf â Wurfmesser in allen möglichen Formen, Nadeln, winzige Dolche â, konnten aber nicht die sogenannte Feuerwaffe herstellen, die von den Otori benutzt und eifersüchtig gehütet wurde. Die Kikutafamilie war uneins, ob man sie überhaupt brauchte. Manche meinten, sie mindere Geschick und Vergnügen bei der Ausübung von Attentaten, und sie werde sich nicht durchsetzen, weil die traditionellen Methoden verlässlicher seien. Andere wandten ein, dass die Kikutafamilie ohne diese Feuerwaffe dezimiert werden und untergehen könnte, denn auch die Unsichtbarkeit bot keinen Schutz gegen Gewehrkugeln. Die Kikuta und alle anderen, die die Otori stürzen wollten, müssten diesen mit den gleichen Waffen gegenübertreten.
Doch alle Versuche, an Feuerwaffen zu kommen, waren gescheitert. Die Otori beschränkten die Benutzung dieser Waffen auf wenige Männer, und jede einzelne, die es im Land gab, war registriert. Ging eine verloren, so büÃte ihr Besitzer dies mit seinem Leben. In der Schlacht waren sie bislang selten zum Einsatz gekommen: nur einmal, und da mit verheerender Wirkung, als man gegen Barbaren vorging, die mit Hilfe ehemaliger Piraten eine Handelsstation auf einer der kleinen Inseln vor derSüdküste errichten wollten. Seither durchsuchte man alle Barbaren bei ihrer Ankunft, beschlagnahmte ihre Waffen und erlaubte ihnen nicht, den Handelshafen von Hofu zu verlassen. Doch die Berichte über das Gemetzel waren genauso wirkungsvoll gewesen wie die Waffen selbst, und alle Feinde, einschlieÃlich der Kikuta, behandelten die Otori von da an mit gröÃerer Achtung und lieÃen sie vorübergehend in Ruhe, während sie insgeheim versuchten, durch Diebstahl, Verrat oder eigene Erfindungskunst selbst an Feuerwaffen zu kommen.
Die Waffen der Otori waren lang und unhandlich und nutzlos für die diskreten Mordmethoden, deren die Kikuta sich brüsteten. Man konnte sie weder verstecken noch schnell hervorziehen und benutzen. Bei Regen waren sie unbrauchbar. Hisao hörte zu, als sein Vater und die älteren Männer darüber sprachen, und stellte sich eine kleine, leichte Waffe vor, so wirkungsvoll wie eine Feuerwaffe, die geräuschlos war und die man unter einem Kleidungsstück vor der Brust tragen konnte. Eine Waffe, gegen die sogar Otori Takeo machtlos wäre.
Jedes Jahr brach ein junger Mann, der sich für unbesiegbar hielt, oder ein älterer Mann, der sein Leben ehrenvoll beenden wollte, zu einer der Städte der Drei Länder auf, um am StraÃenrand Otori Takeo aufzulauern oder nachts heimlich in die Residenz oder das Schloss einzudringen, wo dieser schlief. Jeder von ihnen hoffte, derjenige zu sein, der dem Leben des mörderischen Verräters ein Ende setzen und Kikuta Kotaro und alle anderen Stammesangehörigen rächen würde, die von den Otori getötet worden waren. Doch sie kehrtennie zurück. Erst Monate später erhielt man Nachricht von ihrer Gefangennahme, ihrem sogenannten Gerichtsverfahren vor den Tribunalen der Otori und ihrer Hinrichtung â denn ein versuchtes oder geglücktes Attentat war eines der wenigen Verbrechen, die neben anderen Tötungsdelikten, dem Annehmen von Bestechungsgeldern und dem Verlust oder Verkauf von Feuerwaffen inzwischen mit dem Tod bestraft wurden.
Hin und wieder hörte man, dass Otori verletzt
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