Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
natürlich Hisao mitnehmen.«
    Zum ersten Mal waren sie allein miteinander. Draußen war es kalt – es war ein später und wechselhafter Frühling gewesen –, doch in der Luft lagen die Gerüche von Blüten und frischem Grün und abends war es länger hell. Akio hatte Zenko besuchen wollen, der jedoch nicht da war, weil er seine Männer und Pferde trainierte. Offenbar wollte Akio nicht bleiben, aber Hana hatte ihn gedrängt, ihm Wein und Essen angeboten und ihn selbstbedient, ihn überredet und ihm geschmeichelt, bis er nicht mehr hatte ablehnen können.
    Sie hatte gedacht, er wäre immun gegen Schmeichelei, merkte aber, wie sehr ihm ihre Gefälligkeiten gefielen. Das machte ihn ein wenig zugänglicher und sie fragte sich, wie es wäre, mit ihm zu schlafen. Obwohl sie nicht glaubte, dass sie dies je täte, fand sie die Vorstellung aufregend. Sie trug ein elfenbeinfarbenes, mit rosa und roten Kirschblüten sowie Kranichen geschmücktes Gewand, genau die Art Muster, deren Pracht ihr gefiel. Eigentlich war es zu kalt für ein solches Kleidungsstück und ihre Haut fühlte sich eisig an, doch der fünfte Monat war bereits angebrochen, und die Vorstellung, eine Vorbotin des Frühsommers zu sein, gefiel ihr. Sie war noch jung, und ihr Blut erwachte durch den gleichen Impuls, der die Schösslinge aus der Erde und die Knospe aus dem Zweig trieb. Voller Selbstvertrauen in ihre eigene Schönheit, wagte sie es, ihn endlich nach dem Jungen zu fragen, den man für seinen Sohn hielt, eine Frage, die sie den ganzen Winter hatte stellen wollen.
    Â»Er ähnelt überhaupt nicht seinem Vater«, bemerkte sie. »Sieht er seiner Mutter ähnlich?«
    Als Akio nicht sofort antwortete, drängte sie ihn. »Sie sollten mir alles erzählen. Je mehr ich meiner Schwester offenbaren kann, desto stärker wird die Wirkung auf sie sein.«
    Â»Das ist alles so lange her«, sagte er.
    Â»Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie es vergessen! Ich weiß, dass uns die Eifersucht ihre Geschichten wie mit einem Messer ins Herz ritzt.«
    Â»Seine Mutter war eine außergewöhnliche Frau«, begann er stockend. »Als man vorschlug, sie solle mit Takeo schlafen – damals, als der Stamm ihn zum ersten Mal in die Hände bekam, als ihm niemand traute, als keiner glaubte, er würde bleiben –, hatte ich fast Angst, ihr davon zu erzählen. Yuki um so etwas zu bitten – auch wenn es nichts Ungewöhnliches für den Stamm war und die meisten Frauen taten, was man ihnen befahl –, kam in meinen Augen einer Beleidigung gleich. Als sie dann zustimmte, begriff ich sofort, dass sie ihn begehrte. Ich musste zuschauen, wie sie ihn verführte, und das nicht nur einmal, sondern viele Male. Ich hatte nicht erwartet, wie sehr mich das verletzen und wie tief ich ihn dafür hassen würde. Davor hatte ich keinen Menschen wirklich gehasst. Ich hatte nicht aus emotionalen Gründen getötet, sondern weil es geboten war. Er hatte das, was ich am meisten wollte, und dann warf er es weg. Er verließ den Stamm. Wenn er jemals auch nur einen Hauch dessen fühlt, was ich damals gefühlt habe, ist das nur gerecht.«
    Er hob den Kopf und sah Hana an. »Ich habe nie mit ihr geschlafen«, sagte er. »Das bedauere ich mehr als alles andere. Ich wünschte, es wäre mir möglich gewesen, nur ein einziges Mal … Aber während der Schwangerschaft wollte ich sie nicht anrühren. Und dann sorgte ich dafür, dass sie sich das Leben nahm. Das musste ich tun, denn sie hatte nie aufgehört, ihn zu lieben, und sie hätte den Jungen nie dazu erzogen, ihn zu hassen, so wie ich es dann tat. Er sollte Teil meiner Rache sein, aber als er älter wurde und keine Anzeichen irgendwelcher Talentezeigte, fragte ich mich, wie das gehen sollte. Ich hielt die Sache lange für hoffnungslos, denn immer wieder versagten Attentäter, die viel geschickter waren als Hisao. Doch jetzt weiß ich es: Hisao ist der Richtige. Und ich werde dabei sein und es bezeugen.« Er verstummte plötzlich.
    Die Worte waren aus ihm herausgesprudelt. Das hat er all die Jahre in sich verschlossen , dachte Hana. Einerseits schauderte sie angesichts dessen, was er erzählt hatte, andererseits war sie geschmeichelt und aufgeregt, weil er es ihr anvertraut hatte.
    Â»Wenn Takeo aus dem Osten zurückkehrt, wird Kaede über all dies Bescheid

Weitere Kostenlose Bücher