Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
Gespräch weiter im Kopf herum. Ich habe die Kikuta nun so lange überlistet , dachte er. Ob ich auch den Muto entwischen kann, wenn sie sich gegen mich wenden?
Er begann sogar, an der Treue seiner Leibwächter Jun und Shin zu zweifeln. Bis jetzt hatte er ihnen voll vertraut: Sie konnten zwar keine Unsichtbarkeit annehmen, bemerkten diese aber, und sie waren von Kenji persönlich in den Kampftechniken des Stammes ausgebildet worden. Ihre Wachsamkeit hatte ihn in der Vergangenheit oft geschützt, aber welche Wahl träfen sie, fragte er sich, wenn sie sich zwischen ihm und dem Stamm entscheiden müssten?
Er war die ganze Zeit auf der Hut, horchte ständig auf die leisesten Anzeichen eines Ãberfalls. Tenba wurde von seiner Stimmung angesteckt. Im Laufe der Monate, in denen Takeo das Pferd geritten hatte, war eine tiefe Bindung zwischen ihnen entstanden, fast so tief wie jene mit Shun. Tenba war genauso aufmerksam und klug, wenn auch nervöser. Sowohl Mann als auch Pferd trafen angespannt und müde in Inuyama ein, und der schwerste Teil der Reise lag noch vor ihnen.
Inuyama war erfüllt von Aufregung und hektischer Aktivität. Die Ankunft Lord Otoris und die Musterung des Heeres sorgten dafür, dass Kaufleute und Waffenschmiede Tag und Nacht zu tun hatten. Geld und Wein flossen gleichermaÃen reichlich. Takeo wurde von seiner Schwägerin Ai und deren Mann Sonoda Mitsuru willkommen geheiÃen.
Takeo mochte Ai und bewunderte ihr sanftes und freundliches Wesen. Sie besaà nicht die fast übernatürliche Schönheit ihrer Schwestern, wirkte aber attraktiv. Er freute sich nach wie vor darüber, dass sie und Mitsuru hatten heiraten können, denn sie liebten einander innig. Ai hatte oft erzählt, wie die Wachen in Inuyama nach der Nachricht von Arais Tod und der Vernichtung seines Heeres gekommen waren, um sie und Hana hinzurichten, wie Mitsuru dann den Befehl über das Schloss übernommen, die Mädchen an einem sicheren Ort versteckt und die Ãbergabe an die Otori verhandelt hatte. Aus Dankbarkeit hatte Takeo die Heirat mit Ai arrangiert, die offensichtlich von beiden Seiten gewünscht worden war.
Takeo vertraute Mitsuru seit Jahren. Sie waren durch die Heirat eng miteinander verbunden, und Mitsuru hatte sich zu einem pragmatischen, vernünftigen Mann entwickelt, dem die sinnlose Zerstörung, die ein Krieg mit sich brachte, nicht gefiel, der aber zugleich von groÃer Tapferkeit war. Als geschickter Verhandler hatte er Takeo oft geholfen, und gemeinsam mit seiner Frau teilte er sowohl Takeos Vision eines wohlhabenden Landes als auch die Ablehnung von Folter und Bestechung.
Doch Takeo war so müde, dass er allen misstraute, die ihn umgaben. Sonoda gehört zum Araiclan , rief er sich ins Gedächtnis. Sein Onkel, Akita, war Arais stellvertretender Oberbefehlshaber gewesen. Ob Sonoda doch noch einen Rest Treue zum Sohn Arais empfand?
Taku war nicht da und hatte auch keine Nachricht gesandt, was ihn noch weiter beunruhigte. Er schickte nach Tomiko, Takus Frau, die im Frühjahr Briefe erhalten hatte, in letzter Zeit jedoch nicht. Allerdings wirkte sie nicht besorgt, denn Taku war oft lange fort und meist lieà er nichts von sich hören.
»Wenn irgendetwas nicht stimmte, Lord Otori, würden wir das rasch erfahren. Irgendwelche Angelegenheiten halten ihn in Hofu auf â wahrscheinlich Dinge, die er nicht dem Papier anzuvertrauen wagt.«
Sie warf Takeo einen Blick zu und sagte: »Von der Frau habe ich natürlich gehört, aber das ist keine Ãberraschung. Jeder Mann hat seine Bedürfnisse und er ist lange Zeit fort. Etwas Ernstes ist es nicht. Das ist es nie bei meinem Mann.«
Wenn überhaupt, so wuchs Takeos Beunruhigungweiter, und sie wurde noch stärker, als er auf seine Frage nach der Hinrichtung der Geiseln erfuhr, dass diese immer noch lebten.
»Aber ich habe schon vor Wochen geschrieben und ihre sofortige Hinrichtung befohlen.«
»Es tut mir auÃerordentlich leid, Lord Otori, aber einen Brief haben wir nicht â¦Â«, begann Sonoda, doch Takeo schnitt ihm das Wort ab.
»Nicht erhalten oder lieber ignoriert?« Er merkte, dass er schärfer klang, als angemessen war. Sonoda bemühte sich, seine Verletztheit zu verbergen.
»Ich versichere Ihnen«, sagte Sonoda, »wir hätten auf Ihren Befehl sofort gehandelt. Ich habe mich schon gefragt, warum Sie die Sache so lange aufschieben. Ich selbst
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