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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Und nun mehr denn je, denn ich brauche all seine Weisheit und all seinen Mut. Der neue Reis durchdrang gerade eben die Oberfläche der gefluteten Felder, die blendend im Sonnenschein glitzerten. Am Ufer, an der Kreuzung zweier Pfade, stand ein kleiner Schrein. Er sah, dass er Jo-An gewidmet war, den man in manchen Bezirken mit den lokalen Gottheiten verschmolz und der inzwischen von Reisenden verehrt wurde. Wie seltsam der Glaube der Menschen doch war, dachte Takeo erstaunt und erinnerte sich an das Gespräch, das er vor einigen Wochen mit Madaren geführt hatte – an die Gewissheit, die sie dazu getrieben hatte, mit ihm zu reden. Die gleiche Gewissheit hatte Jo-An die Kraft gegeben, Takeo zu unterstützen – und nun war Jo-An ein Heiliger für all jene, die ihn zu seinen Lebzeiten verachtet hätten und die in seinen Augen Ungläubige gewesen wären.
    Er warf einen Blick auf Miyoshi Gemba, der neben ihm ritt, ein so ruhiger und fröhlicher Gefährte, wie man ihn sich nur wünschen konnte. Gemba hatte sein Leben dem Weg des Houou gewidmet. Es war von Entbehrungen und großer Selbstbeherrschung bestimmt, und doch hatte all dies keine körperlichen Leidensspuren hinterlassen. Beim Reiten verfiel er oft in eine Art meditativer Trance und gab hin und wieder ein tiefes Brummen von sich, das an entfernten Donner oder das Knurren eines Bären erinnerte. Takeo begann plötzlich von Sunaomi zu erzählen, den Gemba in Terayama kennengelernt hatte, und berichtete von seinem Plan, ihn mit seiner Tochter zu vermählen.
    Â»Er wird mein Schwiegersohn werden. Das wird seinen Vater bestimmt freuen!«
    Â»Eine Heirat nützt nur etwas, wenn Sunaomi dir die Gefühle eines treuen Sohnes entgegenbringt«, entgegnete Gemba.
    Takeo verstummte, denn er erinnerte sich an die Ereignisse beim Schrein und die Feindseligkeit zwischen Cousins und Cousinen und befürchtete, Sunaomi könnte deshalb einen Groll hegen.
    Â»Er hat die Houou gesehen«, sagte er schließlich. »Ich glaube, er hat einen guten Instinkt.«
    Â»Ja, den Eindruck hatte ich auch. Schick ihn zu uns. Wir kümmern uns um ihn, und sollte etwas Gutes in ihm stecken, dann werden wir es fördern und weiterentwickeln.«
    Â»Ich denke, er ist jetzt alt genug. In diesem Jahr ist er neun geworden.«
    Â»Dann schicke ihn nach deiner Rückkehr zu uns.«
    Â»Er lebt als mein Neffe und künftiger Sohn bei mir und bürgt doch als Geisel für die Treue seines Vaters. Mir graut bei dem Gedanken, ich müsste eines Tages seinen Tod befehlen«, gestand Takeo.
    Â»So weit wird es nicht kommen«, sagte Gemba.
    Â»Ich schreibe heute Abend einen Brief an meine Frau und berichte ihr von deinem Vorschlag.«
    Wie immer wurde Takeo von Minoru begleitet, und bei ihrem ersten Halt an jenem Abend diktierte Takeo Briefe an Kaede und an Taku in Hofu. Er hatte das Gefühl, unbedingt mit Taku reden zu müssen, um aus erster Hand Neuigkeiten aus dem Westen zu erfahren, und bat ihn, nach Inuyama zu kommen – dort würden sie sich treffen. Taku könnte einfach mit dem Schiff von Hofu aufbrechen und dann einen der flachen Kähne besteigen, die zwischen der Küste und der Residenzstadt auf dem Fluss verkehrten.
    Â»Du kannst allein kommen«, diktierte er. »Lass Dein Mündel und Deine Gefährtin in Hofu. Wenn es Dir nicht möglich ist zu kommen, schreib mir.«
    Â»Ist das weise?«, fragte Minoru. »Briefe können abgefangen werden, besonders …«
    Â»Besonders was?«
    Â»Wenn die Mutofamilie nicht mehr genau weiß, wem ihre Treue gehört?«
    Denn Takeo verließ sich auf das Netzwerk des Stammes, um Briefe rasch von einer Stadt der Drei Länder zur anderen zu befördern. Sie wurden von jungen, sehr ausdauernden Burschen transportiert. Auch in dieser Hinsicht hatte er sich immer auf Takus Kontrolle verlassen.
    Nun starrte er Minoru an und langsam überkamen ihn Zweifel. Sein Schreiber wusste mehr über die Geheimnisse der Drei Länder als jeder andere.
    Â»Welchen Weg wird Taku wählen, wenn sich die Mutofamilie für Zenko entscheidet?«, fragte er leise.
    Minoru zuckte unmerklich mit den Schultern, presste die Lippen aber fest zusammen und antwortete nicht gleich. »Soll ich Ihren letzten Satz schreiben?«, fragte er.
    Â»Bestehe darauf, dass Taku persönlich kommt.«
    Als sie ihren Ritt nach Osten fortsetzten, ging Takeo dieses

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