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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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sie entrollte, fielen die Skizzen der Vögel heraus, die er auf der Reise gemacht hatte. Sie glättete die Blätter und besah die rasch hingeworfenen schwarzen Striche, die die auf einem zerklüfteten Felsen sitzende Krähe, den Fliegenschnäpper und die Glockenblume genau einfingen.
    Â»Er schreibt aus einem Ort in den Bergen«, sagte siezu Hana. »Er ist noch nicht einmal in der Hauptstadt.« Sie betrachtete den Brief, ohne ihn wirklich zu lesen. Sie erkannte Minorus Handschrift, doch die Vögel hatte Takeo selbst gezeichnet. Sie erkannte den kräftigen Strich, sah ihn vor sich, wie er die rechte Hand mit der linken stützte und so seiner Behinderung trotzte. Sie war allein mit Hana. Die Jungen waren auf dem Reitplatz, die Dienerinnen hatten in der Küche zu tun. Sie ließ die Tränen fließen. »Er weiß nicht, dass sein Sohn tot ist!«
    Â»Seine Trauer wird nichts im Vergleich zu deiner sein«, sagte Hana. »Quäle dich nicht wegen ihm.«
    Â»Er hat seinen einzigen Sohn verloren.« Kaede brachte kaum ein Wort hervor.
    Hana nahm Kaede in die Arme und sprach sehr leise in ihr Ohr. »Er wird nicht traurig sein. Das versichere ich dir. Er wird erleichtert sein.«
    Â»Wie meinst du das?« Kaede wich ein Stück zurück und starrte ihre Schwester an. Sie nahm halb bewusst wahr, wie schön Hana war, und bedauerte ihre eigenen Narben und den Verlust ihres Haares. Aber all das war egal. Sie würde wieder in das Feuer springen, würde sich die Augen ausreißen, nur um ihr Kind wiederzubekommen. Seit seinem Tod verließ sie sich vollständig auf Hana, hatte ihren Verdacht und ihr Misstrauen verdrängt und fast vergessen, dass Hana und ihre Söhne in Hagi Geiseln waren.
    Â»Ich dachte nur gerade an die Prophezeiung.«
    Â»Welche Prophezeiung?« Kaede erinnerte sich unter fast körperlichen Schmerzen an jenen letzten Tag des Jahres in Inuyama, als sie, nachdem sie beieinandergelegen hatten, über die Worte gesprochen hatten, die ihr Leben lenkten. »Die fünf Schlachten? Aber was hat das damit zu tun?« Sie wollte jetzt nicht über dieses Thema reden, aber Hanas Ton hatte sie aufgeschreckt. Ihre Schwester wusste etwas, das ihr unbekannt war. Trotz der Hitze war ihr kalt und sie zitterte.
    Â»Damals wurden auch noch andere Worte gesprochen«, sagte Hana. »Hat Takeo dir nie davon erzählt?«
    Kaede schüttelte den Kopf, obwohl sie es hasste, ihr Unwissen zu gestehen. »Woher weißt du das?«
    Â»Takeo hat sich Muto Kenji anvertraut und inzwischen ist es im Stamm allgemein bekannt.«
    Kaede spürte einen ersten Anflug von Wut. Sie hatte Takeos geheimes Leben immer gehasst und gefürchtet: Er hatte sie verlassen, um dem Stamm zu folgen, er hatte sie mit seinem Kind allein gelassen, das sie dann verloren hatte. Damals wäre sie fast gestorben. Sie glaubte, seine Entscheidung verstanden zu haben, die er im Angesicht des Todes getroffen hatte, halb von Sinnen vor Trauer. Sie glaubte, vergeben und vergessen zu haben, doch nun regte sich der alte Groll in ihr. Sie begrüßte ihn, denn er war ein Mittel gegen die Trauer.
    Â»Du musst mir erzählen, was genau gesagt wurde.«
    Â»Dass Takeo vor dem Tod gefeit sei und nur durch die Hand seines Sohnes sterben könne.«
    Kaede schwieg einige Augenblicke. Sie wusste, dass Hana sie nicht anlog, denn ihr war sofort klar, wie sehr diese Prophezeiung Takeos Leben geformt hatte. Nun verstand sie seine Furchtlosigkeit und Entschlossenheit. Vieles, was in der Vergangenheit geschehen war, ergabplötzlich einen Sinn. Und sie verstand seine Erleichterung darüber, dass sie nur Töchter bekommen hatten.
    Â»Er hätte es mir erzählen sollen, aber er wollte mich schützen«, sagte sie. »Ich kann nicht glauben, dass er froh über den Tod unseres Kindes ist. Dafür kenne ich ihn zu gut.« Sie war erleichtert, weil sie befürchtet hatte, Hana würde ihr etwas viel Schlimmeres enthüllen. »Prophezeiungen sind gefährlich«, sagte sie. »Aber diese wird sich nie erfüllen. Sein Sohn ist vor ihm gestorben und wir werden keine weiteren Kinder haben.«
    Er wird zu mir zurückkehren , dachte sie, genau wie immer. Er wird nicht im Osten sterben. Wahrscheinlich befindet er sich gerade auf dem Heimweg.
    Â»Jeder hofft, dass Lord Takeo ein langes und glückliches Leben haben wird«, sagte Hana. »Lass uns beten, dass sich diese

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