Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
befragen â aber was konnte Ichiro wissen? Er wollte um sie trauern, wie sie es verdiente â aber wenn sie ihn tatsächlich betrogen hatte? Es war zu schmerzhaft, darüber nachzudenken. Er verschloss seine Gefühle wie in einem Kasten, den er tief in der Erde begrub, und fiel in einen tiefen Schlaf.
Sein letzter Gedanke war: Wenn jemand die Wahrheit über Akane kennt, dann Chiyo. Er beschloss, die Alte später zu befragen, und fand einen gewissen Trost in der Gewissheit, dass sie ihn nicht belügen würde.
Lord Kitano kam am nächsten Tag in Hagi an und wurde mit groÃem Pomp zum Schloss begleitet. Die Würde dieses Zugs wurde einigermaÃen beeinträchtigt durch das Verhalten der Stadtbewohner, die immer noch ihreTrauer und ihre Wut über den Betrug in Tanz und Gesang ausdrückten und noch auffallender und närrischer verkleidet waren. Sie machten Kitanos Zug zum Ziel von Beschimpfungen, Steinen und Müll und beinah kam es zu BlutvergieÃen.
Nur Shigerus Erscheinen sorgte dafür, dass die Unruhen sich nicht noch verschlimmerten. Er kam Kitano entgegen, hieà ihn förmlich willkommen und ritt neben ihm, wobei seine Haltung und Tapferkeit die Leute zu einem gewissen Maà beruhigte und ihnen Sicherheit gab, genau wie Ichiro, der weithin bekannt und respektiert war als ein Mann von groÃem Wissen und ebensolcher Integrität. Der Tag war schwül und feucht, Wolken häuften sich über den Bergen und am Horizont. Die Regenzeit konnte jederzeit einsetzen und alle Feindseligkeiten vorübergehend beenden.
Männer riefen wütend, dass sie lieber ihre Häuser niederbrennen und ihre Felder verwüsten würden, als sie jemals den Tohan zu überlassen. Frauen sangen, sie würden sich und ihre Kinder im Meer ertränken, wenn Sadamu je in Hagi einreiten sollte. Shigeru war froh, dass Kitano das hörte: Wenn das Volk nicht besänftigt wurde, könnte die Ernte nicht eingebracht werden, mit der Nahrungsmittelproduktion wäre es zu Ende und alle müssten vor dem nächsten Frühjahr verhungern.
An dieser Besprechung sollten nur wenige teilnehmen: die Otorilords â Shigeru und seine Onkel â und Kitano. Ichiro und zwei Schreiber waren ebenfalls anwesend, einer aus Hagi, der andere aus Tsuwano. Als alle in der Haupthalle Platz genommen hatten und die förmlichen Höflichkeiten ausgetauscht waren, sagte Kitano:»Ich bin froh, dass ich in dieser schweren Zeit dem Clan einen gewissen Dienst erweisen kann.«
Er wirkte so selbstzufrieden wie eine Katze, die gerade einen gestohlenen Fisch verschmaust hatte.
Shoichi sagte: »Wir bedauern zutiefst die jüngsten Ereignisse â wir haben stets von solchem Vorgehen abgeraten. Mein Bruder und ich übernehmen die Verantwortung für das künftige angemessene Verhalten unseres Clans. Wir hoffen, Entschädigungen leisten zu können, die Lord Iida angemessen findet.«
»Dafür wird er uns als nominierte Regenten anerkennen, bis die Anführerfolge geklärt ist«, fügte Masahiro hinzu.
»Eine solche Klärung ist unnötig.« Shigeru versuchte ruhig zu bleiben. »Ich bin Lord Shigemoris ältester Sohn. Ich habe einen Erben in meinem Bruder Takeshi.«
Kitano lächelte und sagte: »Das ist eine von Lord Iidas Grundbedingungen. Es wird keine weiteren Verhandlungen geben, solange Lord Shigeru der Anführer des Clans ist.«
Als niemand etwas sagte, fügte er hinzu: »Ich habe Sie gewarnt, nicht seinen Unmut zu erregen. Wenn Sie nicht bereit sind abzutreten, hat es wenig Sinn, diese Zusammenkunft fortzusetzen. Lord Iida und seine Armee sind bis Kushimoto vorgedrungen. Wir können sie nicht daran hindern, Yamagata einzunehmen. Dann liegt nur noch Tsuwano zwischen ihnen und Hagi.«
»Hagi kann nicht durch Belagerung eingenommen werden«, rief Shigeru.
Seine Onkel tauschten Blicke. »Aber wir könnten ausgehungert werden, besonders weil jetzt Frühsommerist und der Reis erst in einigen Wochen geerntet wird«, sagte Shoichi.
»Shigeru sollte sich das Leben nehmen«, bemerkte Masahiro leidenschaftslos. »Bestimmt würde das Iidas Forderungen erfüllen und es wäre ehrenhaft.«
»Mein Vater hat mir befohlen zu leben«, entgegnete Shigeru. »Besonders weil ich Jato bekommen habe.«
Ichiro hinter ihnen meldete sich zu Wort: »Wenn mir gestattet wird, etwas zu sagen, dann möchte ich Sie
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