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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Nöten empfahl ihm, sich mit anderen Mädchen zu trösten, doch er lehnte ihre Angebote ab und hatte einen unbestimmten Groll auf alle Frauen wegen ihrer Attraktivität, ihrer Doppelzüngigkeit – er wollte mit keiner etwas zu tun haben.
    Er teilte seinen Wohnsitz mit seiner Mutter und seiner Frau. Ichiro war darüber erfreut, nach seinen Beteuerungen hielt das Leben für einen Mann, der sich von der Welt zurückgezogen hatte, viele Freuden bereit: das Studium von Literatur, Religion und Philosophie, ästhetische Annehmlichkeiten und natürlich den Genuss der kulinarischen.
    Lady Otori und Lady Moe waren weniger zufrieden. Beide fanden in gewisser Hinsicht, es wäre ehrenvoller für Shigeru gewesen, sich das Leben zu nehmen. Sie hätten ihn natürlich dabei begleitet, doch wenn er darauf bestand weiterzuleben, mussten sie das auch.
    Das Haus war zwar schön und bequem, aber nicht groß, und während Shigeru ein gewisses Vergnügen an einfacher und anspruchsloser Lebensweise fand, vermisste Moe den Luxus und die Pracht des Schlosses. Obgleich sie geglaubt hatte, die Intrigen dort zu verabscheuen, fehlten ihr jetzt selbst die. Sie mochte ihreSchwiegermutter nicht, und Chiyos Anwesenheit machte sie beklommen wegen der unangenehmen Erinnerungen. Die meiste Zeit hatte sie kaum etwas, womit sie sich beschäftigen konnte, und langweilte sich. Sie war eine Ehefrau und doch keine Ehefrau, sie hatte keine Kinder, ihre Familie war tot, ihr Heim zerstört durch die Unbesonnenheit ihres eigenen Mannes. Es beleidigte ihre Angehörigen, dass er noch lebte, und sie erinnerte ihn täglich daran – wenn andere dabei waren, mit spitzen Bemerkungen, wenn sie allein waren, mit Beschuldigungen.
    Auch Lady Otori hatte wenig zu tun und sie kommandierte Moe mehr herum als je zuvor, häufig wies sie ihre Schwiegertochter an, Aufgaben zu erledigen, die eigentlich Sache der Dienerinnen waren, und oft aus keinem anderen Grund als der Gehässigkeit. Eines Abends, einige Wochen nach der Schlacht, vor dem Ende der Regenzeit, befahl sie Moe, die sich gerade zum Schlafen fertig machte, ihr Tee aus der Küche zu holen.
    Es regnete heftig und im Haus war es düster. Moe füllte den Teetopf aus dem Eisenkessel, der über der Feuerglut hing, und brachte ihrer Schwiegermutter eine Schale davon.
    Â»Das Wasser war zu heiß«, beschwerte sich Lady Otori. »Sie sollten es vom Feuer nehmen und ein wenig abkühlen lassen, bevor Sie Tee machen.«
    Â»Warum bitten Sie nicht Chiyo, das zu tun?«, entgegnete Moe.
    Â»Gehen Sie und machen Sie frischen Tee«, befahl Lady Otori. »Bringen Sie Ihrem Mann auch welchen. Er schaut mit Ichiro die Aufzeichnungen durch. Benehmen Sie sich ihm gegenüber doch einmal wie eine Ehefrau.«
    Moe tat widerstrebend wie geheißen und trug ein Tablett mit den Teeschalen durch den Gang in das Zimmer, in dem sich Ichiro am liebsten aufhielt.
    Shigeru saß allein dort und las in einer Schriftrolle. Mehrere Kisten aus Paulownienholz standen um ihn herum und es roch nach altem Papier und Raute. Er war in seine Lektüre vertieft und schaute nicht auf, als sie hereinkam. Sie kniete nieder und stellte das Tablett auf den Boden. Am liebsten hätte sie ihn angegriffen, ihn verwundet und ihn so leiden lassen, wie sie litt.
    Â»Sie sitzen da wie ein Händler«, sagte sie. »Warum verbringen Sie so viel Zeit hier drinnen? Sie sind überhaupt kein Krieger mehr.«
    Â»Wären Sie glücklicher, wenn wir getrennt leben würden?«, fragte er nach kurzer Pause. »Bestimmt können wir andere Lösungen finden. Wir haben beide gelitten. Es hat keinen Sinn, einander zu hassen.«
    Dass er so ruhig und vernünftig war, erzürnte sie noch mehr. »Wo soll ich denn hin? Ich habe nichts und niemanden mehr! Die beste Trennung wäre der Tod. Zuerst Ihrer, dann meiner.«
    Er schaute sie immer noch nicht an, sagte aber leise: »Ich habe bereits beschlossen, dass ich mich nicht töte. Mein Vater hat mir befohlen zu leben.« Sein Blick folgte den Spalten von Geschriebenem auf der Schriftrolle. Er entrollte sie weiter.
    Â»Sie haben Angst«, sagte sie verächtlich. »Sie sind ein Feigling. So weit ist es mit dem großen Lord Shigeru gekommen – der Feigling liest über Reis und Sojabohnen nach wie ein Händler, während seine Gemahlin ihm Tee bringt.«
    Der unaufhörliche Regen, der Geruch nach

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