Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Das Otorigebiet wurde auf das bergige Gelände zwischen Hagi und Tsuwano und einen schmalen Streifen Land entlang der Nordküste reduziert. Sie verloren Chigawa und seine Silberminen, Kushimoto, Yamagata und die reiche südliche Stadt Hofu. Zwei Drittel des Mittleren Landes kamen in den Besitz von Iidas Kriegern. Aber Hagi würde nicht angegriffen und eine Art Frieden geschlossen, der über zehn Jahre andauern sollte.
Iida war durch die Schlacht von Yaegahara zu geschwächt, um die Seishuu in den nächsten Jahren direkt anzugreifen, aber er stellte auch ihnen Forderungen wegen ihres Bündnisses mit den Otori. Arai Daiichi bekam den Befehl, Noguchi Masayoshi zu dienen. Lord Shirakawas älteste Tochter Kaede sollte, sobald sie alt genug war, als Geisel ins Schloss Noguchi geschickt werden, und Maruyama Naomis Tochter Mariko müsste ebenfalls als Geisel nach Inuyama. In Yamagata und Noguchi sollten groÃe Schlösser gebaut und an den LandstraÃen sorgsam bewachte Grenzposten eingerichtet werden.
Aber das alles lag noch in der Zukunft.
KAPITEL 34Â
In den nächsten Tagen war Shigeru völlig mit den Einzelheiten des Kapitulationsvertrags beschäftigt, dem genauen Verlauf der Grenzen, einer Umstrukturierung, durch die Steuern den neuen Herrschern zugeleitet wurden. Die meiste Zeit fiel es ihm nicht schwer, ruhig zu bleiben, als wäre alles ein Traum, aus dem er früher oder später erwachen würde, und dann wäre alles wie gewohnt. Er bewegte sich wie gleichgültig durch diese Unwirklichkeit und tat, was getan werden musste, akribisch und so gerecht wie möglich. Er traf endlos Personengruppen: Krieger, Händler, Dorfälteste. Ihnen erklärte er die Kapitulationsbedingungen, so gut er konnte, und lieà sich weder von ihrem Zorn und ihrem fehlenden Verständnis noch von ihren häufigen Tränen rühren.
Allmählich verfehlte dieser offensichtliche Gleichmut nicht seine Wirkung auf das hektische Treiben in der Stadt. Die tanzenden Mengen zerstreuten sich und die Leute trugen wieder ihre übliche Kleidung, während das Leben sich normalisierte. Shigeru erlaubte ihnen nicht, in Selbstmitleid und Opfergebaren zu verfallen. Das führte nur zu Untätigkeit und einer gärenden Verbitterung, die den Tohan zuarbeiten und den Clan von innen heraus zerstören würden.
Aber von Zeit zu Zeit packte ihn ein unkontrollierbarer Zorn, der von nirgendwo kam, als würde ihn ein Dämon überfallen. Gewöhnlich eilte Shigeru dann aus dem Raum, in dem er gerade war, denn er fürchtete, jemanden unabsichtlich zu töten. Seine rechte Hand war oft zerschrammt, weil er auf Holzsäulen oder Steinmauern einschlug, wenn er allein war. Manchmal schlug er sich selbst ins Gesicht und dachte dabei, dass er bestimmt verrückt werde. Dann drang ihm plötzlich die Welt rundum wieder ins Bewusstsein, der Ruf einer Grasmücke im Garten, der Duft von Iris, das leise Trommeln des Regens, und der Zorn verschwand.
Wenn er allein war, wurde er gelegentlich auf ähnliche Weise von Dämonen überwältigender Trauer gepackt für all die Toten und für Akane, nach der er sich unter körperlichen Schmerzen sehnte. Der Schauplatz ihres Todes, der Vulkankrater, war zu einer Kultstätte für die Frauen aus den Freudenhäusern und für verliebte junge Mädchen geworden. Shigeru besuchte ihn hin und wieder selbst und oft ging er zum Grab ihres Vaters auf der Steinbrücke, brachte Opfer und las die Inschrift, die er dort hatte einmeiÃeln lassen.
Die Ungerechten und die Untreuen sollen sich in Acht nehmen.
Zorn und Trauer waren gleichermaÃen unerträglich und er kämpfte, um beide unter Kontrolle zu halten, doch auch, wenn sie schmerzten, gaben sie ihm das Gefühl, wirklich zu sein. Aber er konnte sich nicht erlauben, ihnen nachzugeben.
Chiyo hatte ihm erzählt, was sie über die Umstände von Akanes Tod in Erfahrung gebracht hatte. Er verdächtigte seinen Onkel Masahiro nicht nur der Lüsternheit â der Mann hatte aktiv gegen ihn konspiriert. Doch Akane war indiskret gewesen und ihm nicht völlig treu, die Not von Hayatos Familie hatte sie schwanken lassen. Gedanken an Rache überkamen ihn oft, doch das konnte warten. Er würde geduldig sein wie der Reiher, der jede Nacht kam, um in den Bächen und Teichen des Gartens am Haus beim Fluss zu fischen.
Chiyo mit ihrer praktischen Einstellung zu körperlichen
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