Der Clan der Wölfe 2: Schattenkrieger (German Edition)
ganz kleiner Welpe herausplatzte: „Mama, warum hat der Wolf das Wort ‚bescheiden‘ so oft geschnitzt?“ Der Kleine erntete einen scharfen Knuff von seiner Mutter und lief quiekend davon.
„Hört, hört!“, knurrte Dain. „Wir haben uns versammelt, um die Rituale der Zerknirschung zu bezeugen. Nur so kann das Unrecht, das den Außenflankerinnen geschehen ist, wiedergutgemacht werden.“ Dann funkelte er Faolan an. „Fahre fort, Knochennager.“
Faolan wölbte den Rücken so hoch wie möglich, kniff den Schwanz ein und ging auf die beiden Außenflankerinnen zu. Direkt vor ihnen sank er in die Knie und presste den Bauch auf den Boden. Dann verdrehte er den Hals, wälzte sich auf den Rücken und bot den beiden Außenflankerinnen die Unterseite dar. In dieser Haltung bekannte er seinen Fehler. „Ich, Faolan, Knochennager des Osthangrudels, habe mich des Vergehens schuldig gemacht, das von Heep auf dem Knochen der Schande festgehalten wurde. Ich schwöre beim Mark meiner Knochen, dass die Wahrheit und nichts als die Wahrheit geschnitzt wurde. Ich erkläre mich bereit, meinen Fehler wiedergutzumachen, indem ich den Knochen benage, der mir von den geschätzten Wölfinnen Lachlana und Tamsen, den hervorragenden Außenflankerinnen des Blaufelsrudels, überreicht wurde.“
Lord Adair hatte Faolan erklärt, dass er die Große Kette in seinen Zerknirschungsknochen schnitzen musste. Genau an der Stelle, an der sein Verhalten die Ordnung gestört hatte, sollte er sein Malcadh -Zeichen einritzen – die Spirallinie an seiner gespreizten Pfote.
Faolan schnitzte die Große Kette, seit er zu den Wölfen der Hinterlande gekommen war. Am Anfang durften die Knochennager eine vereinfachte Version dieser Kette wiedergeben. Mit der Zeit lernten sie jedoch, dass die Große Kette viel umfassender war, als es zunächst den Anschein hatte. Es gab unzählige Verknüpfungen zwischen den einzelnen Klassen. Als geschickter Schnitzer hatte Faolan den Auftrag erhalten, kompliziertere Darstellungen der Großen Kette anzufertigen. Wussten die Blaufelswölfe, dass er bereits bis zur vierten Ordnung vorgedrungen war? Wenn nicht, konnte er eine Version schnitzen, die einfacher war und weniger Zeit kostete.
Genau in diesem Moment hörte er den ersten Ton eines Heulens, das klar und makellos in die Nacht aufstieg. Er drehte den Kopf herum und stellte verwundert fest, dass der Laut aus der verkorksten Kehle des Pfeifers kam. Wie eine wunderschöne Nachtblüte entfaltete er sich in der Dunkelheit. Die anderen Wölfe stimmten mit ein, denn auch sie hatten jetzt den Geistnebel von Duncan MacDuncan entdeckt. Vielleicht war dies die letzte Nacht, in der sie ihn sehen konnten, ehe der Mond des ersten Schnees kam und das Sternbild des Großen Wolfs bis zum Frühjahr verschwand.
Faolan wandte die Augen von dem Knochen ab. Das verstorbene Oberhaupt hatte die oberste Sprosse der Leiter erreicht. Sein Bartzopf war jetzt wieder sauber geflochten und Faolan kam es vor, als blickte er direkt auf ihn herunter. Ich muss die ganze Kette schnitzen, dachte er beschämt. Nein, er würde nicht den bequemen Weg wählen. Sorgfältig studierte er den Geweihknochen und leckte mehrmals daran, um sich mit der Oberfläche vertraut zu machen. Dann begann er zu nagen.
„Hast du die Sonne gesehen, die er schnitzt?“, wisperte ein Wolf in seiner Nähe. „Man kann ja fast die Hitze spüren!“
„Das ist … unheimlich. Viel zu lebensnah“, murrte ein anderer.
Faolan versuchte die Ohren zu verschließen, hörte aber trotzdem noch, wie ein dritter Wolf mit bebender Stimme sagte: „Meint ihr, er kommt aus der Dunkelwelt?“
Faolan hatte sein Bestes gegeben. Er wollte einen guten Knochen schnitzen. Aber er konnte es diesen Wölfen einfach nicht recht machen, so sehr er sich auch anstrengte. Trotzdem musste er weitermachen. Ihm blieb nichts anderes übrig. Am nächsten Morgen würde er im ersten Dämmerlicht zum Feuergrasrudel aufbrechen.
Inzwischen beherrschte Faolan das Zerknirschungsritual im Schlaf. Er zuckte auch nicht mehr zusammen, wenn Heeps Geschichte laut verlesen wurde. In wenigen Tagen hatte er drei Knochen der Schande abgeliefert, die so kunstvoll geschnitzt waren, dass viele Wölfe Angst bekamen. Er sei ein Abgesandter der Dunkelwelt, wurde gemunkelt. Aber selbst das brachte Faolan nicht mehr aus der Fassung. Sollten sie denken, was sie wollten. Er würde seine Arbeit so gut wie möglich machen, was immer sie davon hielten. Und damit basta. Die Wölfe
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