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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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komme nicht voran.
    Dabei glaubtest du nicht an Anfang und Ende, dabei war alles erledigt … darüber schlief ich ein und träumte von wunderschönen Hexen und ihrer Schuld, an die sie selbst glauben, und ich wachte mindestens zweihundertzwanzig plus zwei Fünftel Jahre jünger auf und wusste, dass es weder Schuld noch Verdienst gibt im Leben.
    Und du setzt dich zu mir. Und du hältst meine Hand.

Still fühlen wir längst vergangene Zeiten nach, und du weinst, und ich küsse dir Tränen von der Wange und drücke dich fest, bis wir eins werden, und starre clownesk weiße Hände an. Still erzähle ich, wie mich die Kraft verließ, wie deine Abwesenheit mich aufsog, und ich wusste, du flohst, und du wusstest, ich floh, wir beide wussten recht viel vom Fliehen. Ich sah, wie du tanzt, lächelnde Münder, leere, gierige Augen überall, ganz weit weg, verschoben. Wie du ziehst und nimmst, sah ich, wie der Wahnsinn, das Dunkle uns trieb, wie das Leben uns ein letztes Aufbäumen genehmigte, wie wir strahlten und glänzten vor der Leere, und wir fielen, tief und weit stürzten wir, voll glitzernden Staubs, mit grünen Engelsflügeln stürzten wir Abgründen entgegen, glaubten zu schweben, ganz weit oben über der Welt. Ganz weit weg war ich, zu nah immer noch, unfassbar nah und fern zugleich, ich zerriss.
    Ein funkelnder Stier entführte dich, glühender Schnee Iris Januarblau, und ich sehe jeden Augenblick zu deutlich und ich komme nicht voran. Wie ich mich in Arbeit stürzte und glücklich Steine schleppen wollte auf einen Trümmerberg und glücklich Steine wieder runter und glücklich Steine wieder hoch … was ich nicht alles wollte. Es ist vergangen, alles ist gut jetzt, habe ich gedacht und ich verstand nicht, warum es Mann und Frau gibt.

Wir fliegen.

Tiefes Blau, willenlos steigen wir auf, leichter als Luft sind wir und wundern uns, was das ist, das Leben, so oft dunkel und schwer und so selten hell und leicht, ganz schlichte Fragen stellen wir uns jetzt. Nur deine Hand halte ich, erzähle schweigend unsere Geschichten und denke an Kerstin und die Wohnungsbilder, die wir als Kinder malten.
    Woran denkst du?
    Luftballons. Luftballons sind wir, schillernd
    bunte Luftballons.

Frühlingsgrün, Sonnenschein, fröhliche Höhenluft, wir atmen ganz tief ein. Ganz tief, bis die Lunge fast platzt, wir saugen die graue Welt ein und malen sie ganz bunt an. Vom Bunten klare, blaue Himmel werden wir.

Das Man

Das »Wer« ist das Neutrum, das Man.
    Heidegger: Sein und Zeit

Aschenbrodeln
    Sein und Sollen: Laut Oberlicht ist er nicht zu Hause, laut Tropf, an dem er hängt, ist er es auch nicht. Das ist nicht die Vollkommene. B sitzt am Fenster. Sie liest in da Vincis Trattato della Pittura . Sein rotes Kleid liegt gefaltet auf einem Stuhl. Es sieht vollgereihert aus. Die Hände ruhen brav in seinem Schoß. Wie bei einer Leiche sieht das aus, einer mit – mit Gris Acier von Dior lackierten Fingernägeln. Er mag Rot-Grau-Kombinationen. Er liegt in einem Einzelzimmer. Geschminkt bin ich wahrscheinlich auch noch, befürchtet er. Dramatisch hatte es sein sollen, und so hatte er sich in den Farbtöpfen auch bedient. Er macht die Augen wieder zu, atmet tief durch und blinzelt sie wieder auf. Er hat kaum Kraft, seinen Kopf zu heben. Er muss schlucken, ein Würgereiz, Spucke saugen, noch mal schlucken, Würgereiz flachatmen, es reicht nicht, er muss husten, dass es ihm die Luftröhre verbrennt. Kurz Pause gedrückt, Bild eingefroren, B schreckt zusammen, sie blickt entgeistert zu ihm, ihre Brust sackt mit einem tiefen Seufzer in den Bauch, sie springt auf:
    »O Gott! Da bist du ja wieder! Wie geht’s dir?«
    »Wo sind meine Schuhe, wo bin ich?«, sagt er leiser als erwartet. Was Dümmeres fällt ihm nicht ein.
    »Im Krankenhaus.«
    »Ja?«
    »Ja, du hattest ’nen ziemlich deftigen Absturz.«
    »Und wo sind meine Choos?«
    »Du bist …«
    »Wo sind meine Choos?«, insistiert er total entnervt.
    Kurz stockt, dann platzt sie: »Du bist so ’n arroganter Wichser! Du hast überhaupt keinen Plan, was ich hier die letzten Stunden durchgemacht habe!? Du bist fast abgekratzt verdammt!«
    Der Ausbruch kommt doch etwas überraschend. So dünnhäutig kennt er B gar nicht. Sie sieht mitgenommen aus. Jetzt schießen ihr Tränen in die Augen. Wie ein Schulmädchen guckt sie verschämt auf den Boden. »Tschuldigung«, sagt sie zuletzt schüchtern.
    Warum entschuldigt … da sickert es auch in sein Hirn, das Gesagte, war wohl ’n bisschen viel Info

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