Der Clown ohne Ort
für ’n Anfang, denkt er noch, da ist er kurz ganz woanders, seine Geweide zerrinnen, ihm wird schwindlig. Er kneift seine Stirn zusammen, der Schmerz, als bohre ein Pfeil sich durch die Schläfen in den Schädel, er beißt die Zähne aufeinander, zittert kurz zerlöst, ist wieder da – leer irgendwie.
»Alles gut«, sagt sie. »Du hattest ’ne Überdosis. Zum Glück hab ich nichts von dem Scheiß getrunken, den die Jungs rumgereicht haben.« Jetzt hält sie kurz inne, ganz tief denkt sie in sich rein, sie brodelt, sie zerreißt: »Du warst irgendwann einfach weg. Und dein Mobilteil kannst du auch gefälligst mitnehmen!«
Jetzt weint sie. Das ist kein gewöhnliches Weinen, ganz tief aus ihrem Bauch kommt das, aus dem Zwerchfell, da wo die Seele sitzt, ganz aus der Tiefe kommt das und kennt kein Halten mehr. Sie scheint wirklich einiges durchgemacht zu haben in den letzten Stunden. Wie ein trauriges Häufchen Lichtmädchen sieht sie aus.
Von außen betrachtet: die blonde B, Typ Sirene in luftigem Chanelkleidchen und Louboutinheels, die er der kardinalroten Sohle wegen so liebte, dieser auratische Sog steht schluchzend in der Stille eines kotzpastellenen Krankenzimmers, neben ihm, einer am Tropf hängenden Drogentranse, die schneewittchenaufkomplettabgefucktmäßig entwürdigt auf ihrer Totenbahre liegt. Er greift Bs Hand. Sie beruhigt sich. Bald schluchzt sie nur noch.
»Tut mir leid«, sagt sie, »ich glaub, ich komm grad runter.«
Alles gut also, denkt er, streichelt ihre Hand, bis ihm auffällt, dass er das noch nie gemacht hat. Verschreckt fährt er zurück. Sie übersieht das höflich.
»Wann darf ich denn wieder nach Hause?«
»Die wollen dich mindestens noch bis morgen Früh dabehalten. Du hast ’nen ganz schönen Aufstand gemacht heut Nacht, mein Lieber.«
»Wie lange liege ich denn schon hier?«
»So fünf, sechs Stunden.«
»Meine Eltern?«
»Nein.«
Er schweigt sie verloren an. Sein Mund ist trocken. Und dann meldet sich seine geschliffene Kehle wieder. »Ich hab Lust auf ’ne Cola«, röchelt er.
»Hast du Hunger?«
Er schaut sie schwer fragend an, so nach dem Motto: Wo warst du denn die letzten paar Jahre!?, und sie:
»Komm mal runter du Wichser, ohne mich wärst du vor ’n paar Stunden fast abgekratzt, und du führst dich gerade auf wie ’n – fick dich!«
Sie geht raus, ohne sich umzudrehen. Sein Blick schweift hinterher. Hoffentlich dauert das nicht zu lange mit der Cola. Er gähnt und streckt seine Arme fest, bis in die Fingerspitzen hinein: Nächstes Wochenende nehme ich blassrosa, Sucre de Canne oder sogar nur Naturel.
Naïn hasst Krankenhäuser. In so einem Ding wurde er schon auf die Welt gepresst, hier abkratzen würde er deshalb noch lange und dumm rumliegen schon gar nicht. Er greift sich die Fernbedienung, drückt einen Knopf, irgendeinen, ein leises Surren setzt ein. Knapp zehn Sekunden später sitzt er aufrecht. Er verkneift das Gesicht, beißt die Zähne zusammen und zieht die Kanüle raus. Ein Blutballon en miniature platzt aus dem Stich. Er sieht weder Taschentücher noch irgendwelches Verbandszeug in Reichweite. Wozu bin in ich in ’nem verdammten Krankenhaus, wenn die noch nicht mal so ’n Basicscheiß hier rumliegen haben!?, denkt er, steigt aus dem Bett und wankt in Richtung Badezimmer. Die Neonröhre flackert ihm ein Lichtbrett an den Schädel. Er muss sich kurz am Türrahmen abstützen, um nicht in die Schwärze zu fallen. Er geht zum Waschbecken und hält den Arm unter kaltes Wasser. Der Spiegelrand goldbraun angelaufen, er findet sich überraschend … nee du, bloß die Schminke, vergiss mal, deine Augen … und die Veilchen! Fuck! Nie wieder! Nie wie… vergisses!, zischt er zuletzt und beugt sich nach unten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht trinkt er kurze, gierige Schlucke aus der Hand. Das Wasser schmeckt metallisch. Er wäscht sich noch mal gründlich, trocknet sich ab, greift ein Papiertuch und legt es auf den Stich. Der Bauch brodelt infernalisch. Er hat gerade noch Zeit, sich aufs Klo zu werfen, bevor ihm die Eingeweide in die Schüssel explodieren.
Als B zur Tür reinkommt, hockt Naïn in voller Montur auf der Bettkante. Wie von der Tarantel gestochen springt er auf, packt sie am Arm und zieht sie auf den Gang hinaus. Sie riecht nach Rauch.
»Wo geht’s hier raus?«, fragt er hastig. »Was ist mit dir los, du kannst jetzt nicht einfach so abhauen!«, sagt sie, und er: »Doch! Wir müssen gehen! Jetzt! Sofort!« So bestimmt als möglich sagt er
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