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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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das, was tatsächlich bedeutet, dass er wie ein erkälteter Papagei schmerzverzerrt vor sich hin krächzt. Sie zeigt seufzend nach links, er zieht sie nach links. Was genau ihn treibt, weiß er nicht, Krankenhausphobie vielleicht? Er weiß nur, dass er hier rausmuss, und zwar schnell, und zwar jetzt, und zwar zielgerichtet.
    Nun ist es nicht gerade so, dass die beiden ein unauffälliges Pärchen wären, das sich mal einfach rausstehlen kann: vollverpeilte Transe in knallrotem, vollgereihertem Kleid, gestern noch mit peroxidblonder – »Wo ist eigentlich meine Perücke?« »Ich hab dich gestern ohne bei dir im Zimmer gefunden«, sagt sie lapidar –, Paradeblondine und Transe mit kahlgeschorenem Kopf also, in schminkzerlaufenen Gesichtern beide, stöckeln heroinchicmäßig ineinandergestützt wie zwei alte Omas auf 13-Zentimeter-Absätzen den schlierigen, matt glänzenden Linoleumgang eines abgefuckten Krankenhauses runter. B hakt sich bei ihm ein und reicht ihm eine beschlagene Coladose. Wie bestellt ist keiner im Gang, der Fahrstuhl steht offen, das ist ja wie im Film!, denkt er, sie steigen ein und mit dem Knacken und Zischen der Dosenlasche schließt die Fahrstuhltür. Unten angekommen nehmen sie ein Taxi, es schneeregnet, Naïn sagt: »Sredzki, Prenzlauer Berg.« »Nicht Mitte?«, fragt der Fahrer. »Nein. Prenzlauer Berg!«, antwortet B unwirsch, sie schnallen sich an und er fährt los.
    B zahlt einen Zehner, Naïn steigt aus und öffnet der höflich Wartenden die Tür. Er will nach dem Wohnungsschlüssel kramen, der nirgendwo sein kann, da er weder Tasche noch Clutch dabeihat, fragt sich, wieso er das jetzt erst merkt, grinst das Staunen weg, sieht, dass B in ihrer kramt, sie hält ihn ihm entgegen, ihn wundert gar nichts mehr.
    Die Wohnungstür öffnet sich mit einem klebrigen Schnalzen: Naïn hat in seinem Leben schon einiges gesehen und erlebt, das hier allerdings übertrifft selbst seine kühnen, hollywooderprobten Vorstellungen: Sein Klapprad hängt im Flur an der Deckenlampe. Ein so schlechter Handwerker bin ich offensichtlich doch nicht, ein Wunder, dass das nicht abgerissen ist, denkt er, als er an der rechten Wand die chaostheoretisch idealverteilten, tellergroßen Rotweinflecken sieht, unter denen sich die Scherben von mindestens drei Flaschen friedlich ausbreiten. Blöd grinsend denkt er: Scherbenpfütze, bis er in die Küche glotzt, in der die Metapher von Ätzdämpfen zerlöst in einen Würgereiz molestiert: Was irgendwie nach Arbeitsfläche aussieht, ist vollgereihert, das hinten am Fenster stehende Sofa noch mit dicken Brocken, die, mit dem Tisch beginnend, über Spüle, Arbeitsfläche, Herd und Kühlschrank zur Tür hin sukzessive kleiner werden. Pathetisch verjüngt sich der Strahl Richtung Mülleimer, auf dessen Deckel eine fast schon süße Magensaftpfütze Trockenränder zieht. Irgendwie komisch, dass man in Wohnungen nie auf den Boden kotzen will, denkt Naïn. Er geht weiter, lugt kurz ins Bad – alles blitzeblank, er seufzt erleichtert, da entdeckt er die Wodkaflasche, die in einem High Heel an der Deckenlampe hängt. So viel zu dem Thema. Er schweigt, schmunzelt, das Abstruse der Situation, Wirrsinn im Blick. Sein Zimmer sieht vergleichsweise harmlos aus: Der Schrank komplett leergeräumt, in dem Klamottenbrecher treiben Bücher und Zeitschriften, Die fröhliche Wissenschaft schwimmt einsam auf dem Kamm. Zumindest habe ich hier nicht gekotzt, denkt er, bis er auf sein Bett schaut, in dem ein tiefgelber Fleck breitliegt. »Keine Sorge, ist nur Orangensaft, mit Fruchtfleisch«, sagt B spitzfindig, »du hast den rumgeschüttet, als die Sanitäter kamen.«
    Naïn hat diesen leeren Blick, der zu viele Fragen offen zeigt. »Tabula rasa«, sagt B, »nur bleicher«, und er: »So fühle ich mich auch.« Da platzt es aus B. So beklemmend sie im Krankenhaus geweint hatte, so erlösend lacht sie jetzt, von ganz tief innen, da wo die Seele sitzt, und dann gibt es auch für ihn kein Halten mehr und er lacht mit, bis Tränen in die Augen schießen und der Bauch weh tut und die Luft wegbleibt, er schnauft, ihm fleucht eine leise Ahnung – was? Was hatte …? Er atmet sich ruhig, wird still, kalt, kriegt sie schließlich zu fassen und sagt: »Verbrennen wollte ich den ganzen Plunder.« B schaut ihn an, feierlich wie er jetzt, die Lippen lächeln leiser.

modern
    Ein Spiegel hat alle Farben. Und Farben sind faul. Hier ist alles grell erleuchtete, schneeweiß entfärbte Plastiklandschaft. Ein

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