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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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lackiertes Sideboard, darauf ein Hibiskus, ein silberner Verstärker und mehrere wild durcheinandergeworfene Bücher. Anschließend ein dunkelgrünes Sofa, auf dem ein messingfarbener Feldstecher und die zweite Ausgabe der n+1 liegen. Das Zimmer wirkt minimalistisch, beinahe leergeräumt. Die Wasserspuren auf dem Boden ziehen in Richtung der zweiflügeligen, halb offen stehenden Tür zu seiner Rechten.
    Vorsichtig drückt er sie auf. Der Vorhang öffnet sich: zunächst fällt sein Blick auf das raumbreite Fenster, unter dem ein französisches Bett steht, an der Wand daneben in einem vergoldeten Holzrahmen ein Bild von Miss Van, am Bettende ein ovaler Spiegel aus den Fünfzigern. Zwischen Rahmen und Glas sind etwa zwei Dutzend Fotografien, Postkarten und Flyer geklemmt. Auf der beistehenden Kommode mehrere Fotorahmen, Schminksachen und ein hellblauer Flakon. Er zögert. Er tritt über die Schwelle: weiß lackierter Bauernschrank, Zweisitzer von Le Corbusier, an der hinteren Wand lehnend ein mannshoher Garderobenspiegel. »Hallo?«, fragt er beinahe verlegen hinter die Tür schauend – es zerrinnt; Zeitenwenden, Kreuzverweise trennen Körper und Geist, verwurzelt schlägt sein Verstand Adrenalinschübe in den Körper, springt an die Decke, haut sich den Kopf an: das, das kann nicht wahr sein.
    Lisa sitzt in einem schöngelben Plüschsessel, wie Gott sie geschaffen hat: regenspitz der Busen, schmal das Becken, in dessen Fluchtpunkt ihre kurzrasierte Scham sich verjüngt, ihr feingliedriger Körper, du fällst tief in diese entrückten Meeraugen, kaltblütig, seelenvoll, denkst an reifblonde Felder, Sommerhimmel in der Schärfe blauer Stunden, vor Tag, vor Nacht, wirr schweifst du noch mal zum Miss-Van-Bild, drehst dich wieder um, siehst spöttelnde Lippen, verschmitzte Grübchen, warmen Trotz, re ein Staunen, zu banal diese Stille; sie stelzt auf, durchgedrückt der Rücken, Lisa, wie mit Amaia, damals, so lange her!? der Po! die langen Beine! das hattest du nicht vergessen?!, stellt sich vor dich, legt dir die rechte Hand auf die Brust, nah, fern, sie schlägt die Augen auf, guckt hoch, es spricht.
    Sie zündet sich den Stängel an und nimmt einen tiefen Zug. Sie steht auf, schiebt die Vorhänge zur Seite und öffnet das Fenster. Es regnet noch nach.
    »Wo bist du denn gerade?« Die Frage schreckt ihn auf. »Seit du reingekommen bist, bist du die ganze Zeit abwesend, du hast so ’ne komische Leere im Gesicht.«
    »Wir haben ja auch die ganze Zeit …?«
    »Ich habe beobachtet, wie du im Fenster gesessen hast heute. Selbst aus der Entfernung sahst du abwesend aus. Bist du okay?«
    »Bist du wegen mir nackt auf den Balkon gelaufen?« Jetzt lächelt sie in Sorge.
    »Hast du von mir geträumt, als du eingenickt bist?« Er lächelt.
    »Ich fand es mutig von dir, mich einfach so zu dir zu winken!«
    »Hast du mich denn nicht erkannt?«
    »Nein.«
    Er zieht an der Tüte. Sie ist ausgegangen. Kaum bemerkt, hält Lisa ihm das Feuerzeug hin.
    Sie taxiert ihn. Naïn ist das unangenehm. Er hat Angst, zu viel zu sagen, Müll zu labern, der Neigung seiner Denkstille zu erliegen; inzwischen ertappte er sich zu Hause bei Selbstgesprächen, wie damals sein Urgroßvater mit achtzig. Er gibt die Tüte zurück.
    »Hast du schon eine kiffende Frau gefickt?«
    »Ja.« Jetzt lacht sie ihm ein ziehendes Sirren in den Bauch. »Komm jetzt, fick mich endlich!«, sagt sie.
    Nächster Akt: erzählen, Abendessen, Flasche Wein, erzählen, wieder Sex, wieder Tüte, schweigen, rauchen, nebeneinanderliegend an die Decke starren, kurz im Eigenen, Vergangenen gefangen sein, für ihn Sinnsuche im Abstrusen. Er drückt den Joint aus. Nach einer Weile atmet sie schwer. Sie schläft. Nachtfrische kriecht ins Zimmer. Naïn steht auf, schließt das Fenster und deckt sie zu. Sie seufzt. Er zieht sich an, greift einen Flyer aus dem Spiegel, schreibt seine Nummer darauf, legt den Zettel auf die Holzkommode und geht auf Zehenspitzen durch den Flur. Vor der Eingangstür zieht er sich Mütze auf und Schuhe an, geht kurz zurück, Bewundern, und dann runter in die nächstgelegene Bar.
    Einen einsamen halben Liter Wodka und eine Zigarettenpackung später ist er schön verspult. Wahrscheinlichkeit war anders, träumen war, Totalitarismus, Gerechtigkeit, die Ahnung einer Zukunft, die hinter Versprechen verborgen wurde. Hinter dem Schaufenster der Ideologie kunterbuntes Cabaret, bestialischer Gestank. Er ist betrunken. Da wurde ihm immer politisch unter der Mütze. Als

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