Der Clown ohne Ort
er es bemerkt, lacht er sich aus. Krass abgefuckt ditte. Er zahlt, geht nach Hause, schleppt sich ins Bett, letzter Blick auf schwarze Fensterlöcher. Lisa also.
Rauchen war besser als tot sein. Spanferkel schwingen auf rosengeschmückten Hollywoodschaukeln dem Himmel entgegen, über Schmetterlingen, Sommervögeln auf schwelenden Steinkohlebergen, Befreiung, schlitzenden Funkenmaschinen. Das Leben ein Freudentanz, der Tod eine verschmitzte Ahnung von Erlösung, die sich in wohlwollender Jazzmusik verliert. Koks war das nicht. Hunde, Spektren bellender Sterne, es stürzt.
Das Laken nassgeschwitzt, die böse hämmernde Klimaanlage eines Kühlwagens spielt munter Wecker. Erster Blick: Lisas Wohnung, wehende Vorhänge in offener Balkontür. Würde das noch länger so weitergehen – ach was, es würde so oder so nicht sehr viel länger weitergehen.
Er schläft wach. Schwalben, die Jagd, der Fall, Wohlvertrautes, die halbleere Wodkaflasche von vor zwei Tagen, Lisas Balkon, Bauzeug, die Kinder, Autos, mein Zwitschern, bestimmt ’ne 125er, das ist doch Air! Stockholm?
In der Leere des späten Nachmittags wacht er wieder auf. Hallo Leere, denkt er sich zu. Sein Magen revoltiert. Er kriecht aus dem Bett und zieht sich, liegend, die auf dem Boden verstreuten Klamotten an. Das Mobiltelefon vibriert. Er schreckt zusammen. Nach kurzem Zögern springt er auf. Ihm wird schwarz vor Augen. Er legt sofort sein Kinn auf die Brust und atmet ganz langsam, ganz tief durch. Dimitri aus Athen hatte ihm den Tipp gegeben. Ihm schwindelt, die Knie werden weich, als sich die Schwärze schließlich heulend verliert. Irgendwo, ganz weit weg, vibriert sein wild gewordenes Mobiltelefon weiter. Ein letzter Stich schießt durch den Kopf und dann ist es vorbei. Augen auf und durch. »3 Anrufe in Abwesenheit«, drei Tastendrücke weiter: »Keine Nummer«. Zu spät. Verdammt. Verplanter Blick zu Lisas Wohnung: Die Fenster sind jetzt Spiegel. Sein Magen krampft. Er greift in seine rechte Hosentasche. Der Geldbeutel ist noch drin. Er öffnet den Reißverschluss und kramt in fünf Plastikkarten, einem Dutzend Kassenbons, fünf Quittungen, drei Ausweisen, einem Stoffstück? nach Kleingeld. Zwei Euro und sieben Cent später atmet er auf – es wird sogar noch für ’ne Cola reichen. Vor dem Rausgehen noch kurz im Spiegel vorbeischauen: altrosane, weit geschnittene Hose, brauner Kapuzenpullover, auf den vier kleine Kronen gestickt sind, die halb zerfetzte, schmutzig grüne Strickmütze und dunkelblaue Suedes, das Gesicht fahlgelb eingefallen, die Augenhöhlen schwarzblau katergeschminkt, Körperhaltung schwankt zwischen zu befürchtendem Einknicken und einer grotesk anmutenden Soldatenstarre. Also notgedrungen zum Schreibtisch zurück und noch einen tiefen Schluck Leitungswasser trinken. Es hilft nur bedingt. Die Revolution der Eingeweide wird zum Flächenbrand, er schwitzt wie ein Schwein. Ergo raus und die Haustreppe im Uhrzeigersinn runter. Draußen klatscht er an ’ne Hitzewand. Ist nicht erst Frühling?! Er schlurft zur Boxhagener und biegt nach links in Richtung des in der Ferne schwebenden Glücksbanners ab:
ORIGINAL DÖNER KEBAP 1,–
prangt in gelben Lettern auf blutrotem Grund dunstig in der Ferne. Endlich hat er seine Fata Morgana. Schlurfen, schlurfen, schlurfen, Randstein, schlurfen, schlurfen, Randstein, schlurfen, drei Stufen, schlurfen, »Eine Cola bitte …«. Deppert steht er an der Theke und empfängt gequält einen finalen, fettgetränkten Hitzeschwall. »… und ’nen Döner mit Knoblauchsoße und allem.«
»Zwei Euro!«, gellt der Dönermann zu zackig. Nicht besonders abwegig, denkt Naïn, dass ein drogenabhängiger Penner in deinen Laden gestiegen ist – selbst in diesem abgefuckten Imbiss fühlt er sich deplatziert. Er kramt sein vorbereitetes Zwei-Euro-Stück aus der Tasche und legt es zittrig auf den Tresen. Eine Minute später hält er selig seinen Döner in der Rechten und in der Linken seine beschlagene Coladose. Er setzt sich raus an einen Biertisch und verschlingt kaltschwitzend die Pampe.
Fangen
Kaulquappen zappeln in der Pfütze. Im Wüsten grübelnd sitzt Naïn auf einem Baumstumpf im Plänterwald. Nachts fror er nicht. Es riecht modrig, fett, frisch, vergänglich. Die Sonne kitzelt sich den Horizont empor. Einige Minuten später wärmen erste Sonnenstrahlen sein Gesicht. Das Tönen der Stadt wird schriller. In der Ferne heulen Motorräder, dann eine Sirene auf. Er geht nach Hause.
Um 17:02 Uhr piepst ihn
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