Der Clown ohne Ort
viel des Guten. Er geht zurück ins Zimmer, zieht sich die Unterhose an, sucht und findet seine Jacke, greift in die linke Tasche und nimmt sein Bauzeug raus. Die Mütze liegt neben dem Bett. Er zieht sie auf und muss an Coffee and Cigarettes denken: wenn das so weitergeht, sieht er bald so gut wie Iggy Pop aus.
Die drei sind in ein langweilendes Gespräch über Politik im Allgemeinen und Unzufriedenheit im Besonderen vergraben. Er ahnt, dass sie am Thema vorbeidiskutieren. Sie übersehen, dass die Monade allein regiert. Er denkt in letzter Zeit ein bisschen verquer, denkt er. Als er das Blättchen anleckt, stürmt Chris splitternackt mit einem etwas zu überschwänglichen »Einen schönen guten Morgen!« in die Küche. Chris ist mindestens fünf Jahre jünger als Naïn, unbeschnitten, hat einen knackigen, leicht verkniffenen Arsch, blondes Schamhaar und ist sehnig durchtrainiert. Mit seiner nassrasierten Glatze und dem fast haarlosen Körper erinnert er Naïn an den Isis-Priester Thotmes, der Kleopatras Sohn Cäsarion auf seinem kurzen Lebensweg begleitete. Sein Blick ist ernst, beinahe finster, selbst in der Fröhlichkeit, was Naïn als konsequenten Zug eines eher frohsinnigen, intelligenten Charakters deutet. Ihm fällt sein leichter Akzent auf. Er kann ihn nicht zuordnen. Chris gießt sich eine Tasse Kaffee ein, greift einen Hocker und setzt sich zu Naïn. Johanna und Andrej steigern sich über die politische Lappalienscheiße in Rage. »Na, wie geht’s?«, fragt Chris. Er wirkt noch etwas hibbelig.
»Ganz gut … willst du mal ziehen?« Chris greift sich die Tüte. »Wo kommst du eigentlich her?«
»Ich studiere eigentlich in Paris, bin aber in Berlin und Straßburg aufgewachsen. Ab dem Wintersemester soll ich da auch weiterstudieren. Zurzeit lebe ich einfach so hier. Und du?«
»Ich arbeite an einem Open Air Theater. Vorher habe ich ’ne Weile an dem Theater gearbeitet, von dem die beiden gerade reden. Das ist der Monade wegen aber erst mal auf Eis gelegt.« Chris setzt ’nen schwer fragenden Blick auf. »Ich erkläre dir das besser ein anderes Mal.«
Jesusmaschinen
Als Chris am nächsten Abend anruft, ist Naïn gerade in die verklärte, postmasturbale Beobachtung von Lisas Fensterlöchern versunken, geleitet von den tiefgründigen Blicken einer barbusigen Pornoqueen, die ihn von einem Flyer vielfühlig angrinst, An einem Sonntag im August heißt der Laden. Den Bauch voller Sperma hebt er ab. »Ja?«
»Hallo, Chris hier! Na, wie geht’s?«
»Ich müsste mich mal dringend abwischen, besser duschen gehen«, will er fast sagen, belässt es dann aber bei einem übertriebenen: »Ganz gut. Schön, von dir zu hören!«
»Hast du Lust, mit mir und drei Freundinnen was trinken zu gehen?«
»Lust schon, ich bin nur grad ’n bisschen knapp bei Kasse – ich hab noch ’ne Flasche Sancerre hier stehen. Wir können die auch bei mir oder dir zu Hause trinken.«
»Cool, sag einfach, worauf du Lust hast.« Naïn guckt zum Schreibtisch, auf dem Tabakreste eine wunderbare Melange mit Asche, Bier und Weinflaschen, Papier und Essensresten formen, rafft, dass er seit mindestens zwei Monaten nicht mehr aufgeräumt, geschweige denn geputzt hat, und spricht daher eisern: »Wann soll ich kommen?«
Gegen zehn taucht er bei Chris auf. Der bringt gerade einen Weißwein in Stellung und hält Naïn zur Begrüßung gleich ein Glas entgegen. Zunächst dreht sich ihr Gespräch um die üblichen Lappalien: wie es denn so ginge, was man denn so mache, warum das Wetter Kapriolen schlüge. Zwei Gläschen später klingelt es an der Tür. Naïn fragt sich angesichts der drei Schönen, wie Chris das bloß anstellt, während Cécile, noch in der Tür stehend, feixend Schampus und Koks präsentiert – et voilà!
Louise, Marianne und Cécile sind anscheinend alte Bekannte von Chris aus Paris, die zurzeit in Berlin leben und arbeiten. Naïn sind sie zu mittig mit ihren engen Jeans und Stiefeletten, nur Louise, die schon am Vorabend dabei war, trägt wieder die französische Frauenuniform aus Sandalen, Sommerkleid und leichtem Wolljäckchen. Man quasselt und lacht, zieht und trinkt, und nach der dritten Line redet Chris von Krise und Weltrettung. Naïn denkt kurz an seinen Schulfreund Sascha. Der hatte spaßeshalber »Weltherrschaft« als Berufsziel in der Abizeitung angegeben. Sechs Jahre später hatte er dann schon seit zweieinhalb Jahren einen Therapeuten.
Chris hat »nur vor, die Welt zu retten. Das ist alles. Ich will eine
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