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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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Bootsname, Blütenkind, göttliche Geburt des Sonnengottes.
    Die 4.1 der Joaquín Costa 37. Gras unterm Pappusflaum, Löwenzahn allein kann’s nicht gewesen sein, die Bäume haben längst abgeblüht, ein Sensenmann in Adidasshorts, drei Strohhalme, Gras grün auf Butterpapier.
    Der Letzte. Im Garten radfahrende Kinder, der Autoreifen eine Schaukel, L holt Cola, wahrscheinlich will sie sich umsehen, die Schönste. Das wohl stärkste, zumindest aber bewegendste Muss: Ich muss sie wiederhaben. Jetzt trommelt ein Mädchen mit Schaumballschlägern auf den Kautschuk. Eine Alte ruckelt mit ihrem Fahrrad übers Kopfsteinpflaster, sportlich, Polohemd uni, Shorts drei Viertel. Wo bleibt L? Wilma hält mir den Wasserbeutel an den Mund. Da steht sie an der Ecke. Zu viel der verrückten Zufälle, defektierende Vernunft, Nullsummenspiele. Der Drive, der Sex, die Drogen. Ihr Schal als Kopftuch, der Hitze wegen, zwei Plastiktüten trägt sie in den Händen, Ayran, Cola und Pommes. Das Runterkommen. »Ich werde missachtet«, sagt L, an einem angeschmolzenen Schokoflockenknäuel knabbernd. Sie reagiert pikiert, wenn ich ihr nicht hörig bin – »Schließlich habe ich dich nur noch ein paar Stunden«, spricht sie. Sonnenglut. Das wohl stärkste, zumindest aber bewegendste Muss: Ich muss dich wiederhaben. Liebe ist. Ich kaue und fahre, zurück ins Kunststoffleben. Man wird Türen pflanzen statt Bäumen.

Sag nicht, dass es ein Traum war. An der Ringbahn stehen sie, gen Osten soll es gehen, irgendwas mit Friedrichshain hatte B gesagt, Naïn hat Schwierigkeiten ihr zuzuhören. Zu sehr ist er mit sich selbst beschäftigt, ein Zeitkleber ist sein Schock. Die Bahn entfällt, sie müssen weitere sieben Minuten warten, laut Anzeigetafel. Er dreht sich eine Zigarette, B spricht pausenlos weiter. Jetzt umarmt sie ihn: »Du bist der Beste«, sagt sie. Zuletzt küsst sie ihn auf den Mund.
    Verschlossen, selbstbeschäftigt wartet man auf den Zug, ein Solariumgebräunter mit Augenbrauenpiercing kauft die letzte, verschrumpelte Thüringer vom Bahnsteiggrill, mit Senf und Ketchup. Die Notenleiter runtersirrend fährt die Bahn jetzt drei Minuten zu frühspät ein, er zahlt hastig, springt ihnen hinterher, die Wurst stinkt schlimm. Naïn nimmt einen Schluck von Bs Matemischung und vergibt sich vorsichtshalber gleich den Versuch, das Penetrante weichzuspülen. Die Bahn zuckelt sich ihr Gleis entlang, inzwischen ist es dunkel, fadenscheinig zieht die Landschaft an ihm vorbei, Dringung spiegelnder Fenster, zwei mal zwei Dimensionen. B sitzt ihm gegenüber, sie stiert, ihn an, transparent in der Trübe.
    I’m so horny
    that’s okay
    my will is good.
    yeah yeah yeah i yeaaa äh ja. Wie der geblutet hat! Hoffentlich geht’s ihm gut, vielleicht hätte ich ja, der wollte das doch! Der Schock? Und ich? Hab zwei Mal nachgefragt, zwei Mal.
    Neukölln? Drei Stationen noch bis Ostkreuz. Da gab es ein Foto von Oma, aus den Siebzigern, sie hatte Freunde in Bautzen besucht, also nicht im Stasigefängnis, ganz normal besucht hatte sie die. Auf jeden Fall gab’s da ein Foto von ihr, zusammen mit den Riedels stand sie da, den Fernsehturm und den alten Zubringer im Rücken statierte sie verkniffen lächelnd zwischen dem Ehepaar, in Polyacryl, Stiefopa war da auch schon zwei Jahre tot. Die Ärmste hatte das nie wirklich verwunden, den zweifachen Frühverlust an Männlichkeit in ihrem Leben, und das trotz dreier Söhne. Zumindest hat sie nie das Trinken angefangen, denkt er, ad iectivum in vinum, macht das Sinn? Bin ich katholisch? Er greift nach Bs Mate.

Im Raum Bewegtes, Ewigkeit, Xtal, Aphex Twin, Fossilfunde belegen auch, dass es die ersten Augen bereits vor 505 Millionen Jahren gab, kambrische Explosionen, Perlboote: »Ich habe schon viele Menschen sterben sehen, auf der Intensivstation – da ist was, ich glaube an die Seele, ein Schauern fährt da aus dem Leib, in mich, durchströmt das Zimmer. Ich halte ihnen die Hand, und wenn sie den Körper verlassen, bin ich allein. Eine Weile bleibe ich so sitzen, in der Unruhe. Wenn ich das Fenster aufmache, ist wieder jemand da, nur kurz, dann kommen ganz viele auf einmal, als holten sie sie ab, als wollten sie mir danken auch, vor der warmen Stille.«
    Ihr kindliches Staunen, die Begeisterung, als sie das sagt. Schön wäre das mit dir. Das Leben also auch. Er hat Angst, sich zu verlieben.
    In der Luzia hampelt man sich gegen Morgen. Lucard zwängt sich gleich Richtung DJ-Pult, hinten beim Klo steht das, Naïn bleibt

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