Der Club der Gerechten
schwang im Nichts, baumelte in der Dunkelheit, bis ihre Hand eine Sprosse fand und instinktiv umschloss. Sie zog sich dicht an die Wand heran und umklammerte die Sprosse mit beiden Händen, während sie mit den Füßen nach einer nächsten Sprosse suchte. Zwischendurch holte sie keuchend Luft, um wieder zu Atem zu kommen, den das Seil ihr aus den Lungen gepresst hatte.
Ihr wurde schwindlig, und als sie in den Schacht hinunterblickte, fürchtete sie einen Augenblick, sie könnte wieder fallen. Dann fragte Keith von oben: »Bist du okay?«
Ein Stöhnen war der einzige Laut, den Heather von sich geben konnte, solange der Schwindel sie gepackt hielt. Dann fand sie die Stimme wieder: »Eine Sprosse ist gebrochen, aber jetzt ist alles in Ordnung.«
Sie holte tief Atem und setzte vorsichtig den Weg nach unten fort; allerdings prüfte sie jetzt jede Sprosse, bevor sie sich ihr mit ihrem ganzen Gewicht anvertraute.
Noch eine zerbrach, zwei verbogen sich, hielten aber. Dann war sie unten. Sie band sich los, rief Keith, und er zog das Seil herauf. Dann ließ er es wieder hinunter, diesmal mit dem Rucksack.
Als er selbst hinunterstieg, gaben noch zwei Sprossen nach, und als er unten ankam, blickte er grimmig nach oben. »Hinauf können wir nicht mehr«, sagte er und grinste dann. »Andererseits kann aber auch keiner herunterkommen.« Er sah sich um und studierte dann kurz die Pläne. »Dorthin«, entschied er.
Heather betrachtete den Plan, sah aber nichts, das ihr auch nur andeutungsweise gesagt hätte, in welche Richtung sie sollten. »Warum?«, fragte sie.
Keith zuckte mit den Schultern. »Um die Wahrheit zu sagen, ich habe keine Ahnung. Aber hier können wir nicht bleiben.« Heather dicht hinter sich, machte er sich auf den Weg.
Als sie etwa hundert Meter zurückgelegt hatten, fanden sie den Toten. Zuerst dachte Keith, es sei einer der Obdachlosen, die sich überall in den Tunnels herumtrieben; einer, der entweder eingeschlafen oder einfach umgekippt war. Aber als er den Mann mit der Taschenlampe anleuchtete, sah er den leuchtend roten Fleck, der die Kleidung durchtränkt hatte, und als er niederkniete, um näher hinzusehen, entdeckte er die tiefe, klaffende Brustwunde.
Während er die Innentaschen im Jackett des Mannes durchsuchte, hörte er Heather leise keuchen. Er blickte auf und sah, dass sie nicht die klaffende Wunde, sondern das Gesicht des Mannes anstarrte.
»Du kennst ihn.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Monsignore McGuire«, sagte sie leise. »Er leitet ein Heim für Obdachlose.«
Doch Keith hörte nicht zu. Er blätterte wieder in Atkinsons Notizbuch und suchte die Seite, auf der der Name seines Sohnes stand. Dort waren auch die Namen der beteiligten Jäger verzeichnet: Viper, Mamba, Klapperschlange, Natter und Kobra. »Er ist ebenfalls ein Freund deines Vaters, nicht wahr?«
Heather nickte.
Keith betrachtete wieder die Liste und dachte an den Mann, den er getötet hatte.
Carey Atkinson.
Jetzt lag hier Monsignore McGuire mit einem Loch in der Brust.
Atkinson und McGuire.
Viper und Mamba?
Er fühlte, dass Heather dicht hinter ihm stand, fühlte ihren Atem im Nacken, als auch sie auf die aufgeschlagene Seite des Notizbuchs starrte.
Und er hörte sie stöhnen, als auch sie in Gedanken die Verbindung herstellte.
»Das kann nicht sein«, flüsterte sie. »Doch nicht mein Vater ...«
Aber schon als sie es aussprach, wusste sie, dass die Saat in ihrem Kopf aufgegangen war und weiterwachsen würde, gleichgültig, wie oft sie diese Worte wiederholte.
36. Kapitel
Der Jäger, den sie Natter nannten, hatte sich seit mehr als zwei Stunden nur bewegt, wenn er sich ein Insekt, meist einen Käfer, aus dem Gesicht geschnippt oder mit dem Fuß nach einer Ratte getreten hatte, die dreist genug gewesen war, sich zu nahe an ihn heranzuwagen. Die Bewegung hatte genügt, die Steifheit seiner Gelenke zu mildern und die Muskeln nicht taub werden zu lassen. Doch während sein Körper geruht hatte, war sein Geist hellwach, registrierte die kleinste Sinneswahrnehmung und analysierte sie von allen Seiten.
Für Natter waren die auf der Jagd verbrachten Stunden die besten seines Lebens, viel interessanter und eine viel größere Herausforderung als die endlos langweiligen Debatten der Anwälte, die er sich anhören musste und bei denen es um undurchschaubare Belanglosigkeiten des Gesetzes ging, um Präzedenzfälle und Entscheidungen des Supreme Court. Die Natter hatte immer gewusst, was Recht und was Unrecht
Weitere Kostenlose Bücher