Der Club der Gerechten
ihren genauen Standort erkannte – sogar die Nische, in der Jagger sich versteckt hatte, war auf dem Plan verzeichnet. Mit wachsender Erregung blätterte er zurück, setzte die einzelnen Pläne zusammen, passte die Schächte, die auf einer Seite verzeichnet waren, jenen auf der nächsten Seite an, und verband die Tunnelenden an den Seitenrändern, bis das ganze Gebiet in seinem Kopf allmählich feste Form annahm. Und als der Nebel der Verwirrung, der über dem Labyrinth gelegen hatte, sich langsam lichtete, regte sich eine andere Erinnerung in ihm – eine Erinnerung an das Seminar, das er im letzten Semester vor seiner Verhaftung belegt hatte.
Sie hatten die Probleme diskutiert, die für Bauvorhaben im Herzen der Stadt symptomatisch waren, wo jedes Grundstück oft auf zwei oder sogar drei Seiten von anderen Gebäuden umgeben war, die bei Abriss eines vorhandenen oder dem Bau eines neuen Gebäudes unbeschädigt bleiben sollten. Eines Morgens hatten sie den Campus verlassen, um einen Block zu besichtigen, in dem die Stockwerke geräumt und mit Brettern vernagelt worden waren, wo die Abriss-Crews aber noch nicht mit ihrer Arbeit begonnen hatten.
Jetzt versuchte Jeff sich die Einzelheiten des Bauplans für einen neuen Wolkenkratzer in Erinnerung zu rufen. Und als er sich erinnerte, begann sich in seinem Kopf, gewissermaßen selbsttätig, ein Plan zu entwickeln.
»Es könnte funktionieren«, flüsterte er.
»Was könnte funktionieren?«, knurrte Jagger.
»Es könnte einen Weg geben, auf dem wir hinauskommen.«
Jagger starrte finster auf den Leichnam von Monsignore McGuire. »Nur wenn wir sie alle umbringen. Wir wissen ja nich mal, wie viele hier unten sind.«
»Fünf, nach diesem Buch.« Jeff blickte auf den verkrümmt daliegenden Toten, und als er sprach, war seine Stimme völlig emotionslos. »Was bedeutet, dass es nur noch vier sind.« Seine Augen ruhten auf der leblosen Gestalt, und er versuchte ein wenig Trauer oder Mitleid mit dem Mann aufzubringen. Doch der Inhalt des Logbuchs hatte alles Mitgefühl in ihm abgetötet. »Du hast ihn nur mit deinem Nagel erledigt. Jetzt haben wir eine Schusswaffe mit einem Laser und ein Nachtglas.«
»Und sie haben dasselbe und sind vier«, wandte Jagger ein.
»Und was willst du machen? Einfach hier warten, bis sie uns finden?«
»Da können wir wenigstens einen nach'm andern erledigen.«
»Wenn alle kommen«, antwortete Jeff. »Aber wenn alle in verschiedenen Gebieten arbeiten, könnten wir hier warten bis wir schwarz werden.« Er musterte die Blasen auf Jaggers Stirn. Einige waren aufgeplatzt und wurden schon septisch, die Wunden schwollen an und röteten sich. »Und deine Brandwunden müssen behandelt werden. Gott weiß, was da schon alles hineingeraten ist.« Wie um seine Worte zu betonen, landete ein Insekt auf Jaggers Gesicht und krabbelte über eine der Wunden, als suche es entweder nach Nahrung oder nach einem Ort, in den es seine Eier legen konnte.
Jagger zerquetschte das Insekt und verspritzte Blut und Eiter auf seiner Stirn.
»Jeff hat Recht«, sagte Jinx. »Wir müssen hier raus.«
Jagger sah sie böse an. Was zum Teufel weiß die denn?, dachte er. Sie war noch ein Kind – aber auch wieder nicht Kind genug, dass sie nicht versuchte, Jeff anzumachen. Glaubte sie, dass er nicht sah, wie sehr sie hinter Jeff her war? Nun, das würde nicht passieren – dafür wollte er sorgen. Einen Fluch murmelnd hievte Jagger sich in die Höhe, musste sich dann aber an der Wand stützen, weil ihn starker Schwindel packte. Vorsichtig ließ er sich auf den Sockel nieder, der den Fußboden der Nische bildete.
»Kannst du laufen?«, fragte Jeff.
Jaggers Augen, zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, waren auf Jinx gerichtet. »Ich kann laufen«, sagte er. »Und das is nich alles, was ich kann.«
»Versuch was, und ich ...«, begann Jinx mit mehr Mut als sie empfand, aber Jeff ließ sie nicht zu Ende sprechen.
»Wenn du laufen kannst, dann wirst du's auch tun«, sagte er grimmig zu Jagger. Er betrachtete den Dreck auf dem Boden und rümpfte die Nase über die faulig riechenden Luft. »Wir haben ein Sandwich und die Flasche des Priesters. Wenn die zu Ende sind, wird es dir schlechter gehen. Also sehen wir zu, dass wir hier rauskommen, solange du dich noch auf den Füßen halten kannst.«
Jagger stand wieder auf, schwankte einen Moment, riss sich dann aber zusammen. »Gehn wir.«
Die Pläne aus dem Logbuch des Geistlichen vor Augen und das Gewehr über der Schulter,
Weitere Kostenlose Bücher