Der Coach
warten, dass Rake stirbt.«
»Warst du bei ihm?«, fragte Paul.
»Nein. Er liegt in einem Zimmer hinten raus, hat nur eine Krankenschwester bei sich. Miss Lila sagt, er will nicht, dass ihn jemand sieht in seinen letzten Tagen. Sie sagt, er ist nur noch ein Gerippe.«
Der Gedanke an Eddie Rake im Krankenbett in einem dunklen Zimmer, mit einer Krankenschwester an seiner Seite, die die Minuten zählte, ließ das Gespräch für eine ganze Weile verstummen. Bis zu seiner Entlassung hatte Rake beim Training immer Football-Schuhe und Shorts getragen und keine Sekunde gezögert, wenn es darum ging, die richtige Blocktechnik oder die genaue Bedeutung des Begriffs »gestreckter Arm« zu demonstrieren. Rake mochte den körperlichen Kontakt mit seinen Spielern, doch ein anerkennendes Schulterklopfen nach einer guten Leistung gehörte für ihn nicht dazu. Er schätzte das Kontaktspiel, die Hits, und es verging kaum ein Training, bei dem er nicht irgendwann wütend das Klemmbrett fallen ließ und einen Spieler an den Schulterpolstern packte – je größer der war, desto besser. Wenn das Blocktraining nicht nach seinen Vorstellungen verlief, kauerte er sich in einen perfekten Dreipunktstand, warf einen schnellen Pass und rammte anschließend einen der Defense-Tackles, der nicht nur zwanzig Kilo mehr wog als er, sondern auch mit Schutzpolstern und der kompletten Ausrüstung ausstaffiert war. Jeder Spieler in Messina hatte schon einmal erlebt, wie sich Rake an einem besonders schlechten Tag auf einen Runningback stürzte und ihn mit einem heftigen Hit zu Fall brachte. Er schätzte das Aggressive am Football und forderte es von seinen Spielern ein.
In seinen vierunddreißig Jahren als Head-Coach hatte Rake nur zwei Spieler außerhalb des Spiels geschlagen. Das erste Mal war eine legendäre Prügelei Ende der sechziger Jahre mit einem jungen Hitzkopf, der das Team verlassen wollte, deshalb Streit suchte und bei Rake sofort fündig wurde. Das zweite Mal war ein unfairer und nicht gerechtfertigter Fausthieb, der Neely Crenshaw mitten ins Gesicht traf.
Unvorstellbar, dass der Coach jetzt ein welker alter Mann sein sollte, der mit dem Tod rang.
»Ich war auf den Philippinen«, sagte Silo. Er sprach zwar leise, doch seine raue Stimme trug weit in der klaren Luft. »Hab die Offiziersklos bewacht und den Job gehasst wie die Pest. Darum hab ich dich nie spielen sehen, als du auf dem College warst.«
»Da hast du nicht viel verpasst«, erwiderte Neely.
»Später hab ich gehört, dass du klasse warst, dich dann aber verletzt hast.«
»Ich hatte ein paar ganz gute Spiele.«
»Im zweiten Studienjahr war er landesweiter Spieler der Woche«, warf Paul ein. »Da hat er für sechs Touchdowns gegen Purdue geworfen.«
»Das Knie, oder?«, fragte Silo.
»Ja.«
»Wie ist es passiert?«
»Hab einen Rollout in den Rückraumbereich gemacht. Dann hab ich eine Lücke gefunden und bin losgerannt, hab dabei aber einen Linebacker übersehen.« Neely berichtete, als habe er diese Geschichte schon hundert Mal erzählt und lege keinen Wert darauf, es noch einmal zu tun.
Silo hatte sich einmal beim Spring Football das Kreuzband gerissen, es aber gut überstanden. Er kannte sich mit Knieverletzungen aus. »Operation und so?«, fragte er.
»Vier«, erwiderte Neely. »Das Band komplett durch und die Kniescheibe zertrümmert.«
»Dann hat er dich mit dem Helm erwischt?«
»Der Linebacker hat auf sein Knie gezielt, als Neely schon im Aus stand«, erklärte Paul. »Es wurde Dutzende Male im Fernsehen gezeigt. Ein Kommentator hatte sogar den Mut, es als hinterhältiges Foul zu bezeichnen. Es war ein Spiel gegen A&M, was soll man da noch sagen?«
»Muss höllisch wehgetan haben.«
»O ja.«
»Er wurde im Krankenwagen weggebracht, und hier in Messina haben die Leute auf den Straßen geweint.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Silo. »Aber die Leute hier geraten schnell aus der Fassung. Hat die Reha nichts gebracht?«
»Es war dummerweise eine Verletzung, die das Ende der Karriere bedeutet, wie es so schön heißt«, erwiderte Neely. »Die Therapie hat es nur noch schlimmer gemacht. Eigentlich war ich schon in dem Moment erledigt, als ich mit dem Ball losgerannt bin. Ich hätte in der Pocket bleiben sollen, wie ich es im Training gelernt habe.«
»Rake hat dir sicher nie gesagt, du sollst in der Pocket bleiben.«
»Im College läuft die Sache etwas anders, Silo.«
»Klar, das sind ja auch lauter Schwachköpfe. Schließlich haben sie mich nicht
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