Der Coach
Coach hier angefangen. Die meisten Leute, die jetzt hier leben, waren damals noch gar nicht auf der Welt.«
»Hattest du hinterher noch mit ihm zu tun?«
»Er kam oft her, aber als er dann krank wurde, hat er sich zum Sterben nach Hause zurückgezogen. Seit sechs Monaten hat ihn niemand mehr gesehen.«
Neely sah sich um. »Rake kam hierher?«
»Er war mein erster Kunde. Er hat mich darin bestärkt, den Laden aufzumachen, mit seiner klassischen Motivationsrede – hab keine Angst, streng dich mehr an als die anderen, gib ja nicht auf. Die üblichen Pausenfloskeln eben. Nachdem ich eröffnet hatte, kam er manchmal morgens heimlich auf einen Kaffee her. Ich nehme an, er hat sich hier sicher gefühlt, weil es noch nicht von Kunden wimmelte. Die Landpomeranzen hatten anfangs alle Angst, sich mit Aids zu infizieren, sobald sie den Laden auch nur betreten.«
»Wann hast du denn aufgemacht?«
»Vor siebeneinhalb Jahren. In den ersten zwei Jahren konnte ich kaum die Stromrechnung bezahlen, aber dann lief es langsam an. Es hat sich rumgesprochen, dass Rake gern herkommt, da ist der Rest der Stadt neugierig geworden.«
»Ich glaube, der Kaffee ist fertig«, warf Neely ein, als die Maschine zu zischen begann. »Wusste gar nicht, dass Rake liest.«
Nat füllte zwei kleine Tassen, setzte sie auf Untertassen und stellte sie auf die Theke.
»Riecht ganz schön stark«, sagte Neely.
»Eigentlich kriegt man den auch nur auf Rezept. Rake hat mich irgendwann gefragt, was ihm gefallen könnte. Ich hab ihm was von Raymond Chandler mitgegeben. Am nächsten Tag stand er wieder hier und wollte mehr. Er fand die Bücher richtig toll. Dann hab ich ihm Dashiell Hammett gegeben, und anschließend war er ganz verrückt nach Elmore Leonard. Ich mache schon um acht auf, das tun nur ganz wenige Buchläden, und ein- oder zweimal in der Woche kam Rake früh vorbei. Dann saßen wir da hinten in der Ecke und unterhielten uns über Bücher. Nie über Football oder Politik oder über den Klatsch und Tratsch. Nur Bücher. Krimis waren seine Leidenschaft. Wenn wir die Türglocke hörten, schlich er sich hinten raus und ging nach Hause.«
»Warum?«
Nat schlürfte langsam seinen Kaffee, und die winzige Tasse verschwand dabei schier in seinem unbezähmbaren Schnurrbart. »Darüber haben wir selten geredet. Es war ihm unangenehm, dass er unter diesen Umständen entlassen worden war. Er ist unglaublich stolz, das hat er uns ja auch vermittelt. Aber er hat sich auch für Scottys Tod verantwortlich gefühlt. Viele Leute haben ihm die Schuld daran gegeben, und das wird auch immer so bleiben. Das ist eine ganz schöne Last. Wie findest du den Kaffee?«
»Ziemlich stark. Vermisst du ihn?«
Ein weiterer langer Schluck. »Kann man Rake nicht vermissen, wenn man mal für ihn gespielt hat? Ich sehe sein Gesicht jeden Tag vor mir. Ich höre seine Stimme. Ich rieche seinen Schweiß. Ich spüre, wie er mir einen Hit demonstriert, ohne Schutzpolster. Ich kann sein Knurren nachmachen, sein Meckern, seine Gehässigkeiten, und ich erinnere mich an all seine Geschichten, seine Reden, seine Lektionen. Ich weiß noch alle vierzig Spielzüge und alle achtunddreißig Spiele, bei denen ich mit von der Partie war. Vor vier Jahren ist mein Vater gestorben. Ich habe ihn wirklich sehr geliebt, aber, so hart das auch klingt, er hat mich viel weniger beeinflusst als Eddie Rake.« Nat unterbrach sich gerade lang genug in seinem Gedankengang, um Kaffee nachzuschenken.
»Später, nachdem ich den Laden aufgemacht und gelernt hatte, noch etwas anderes in ihm zu sehen als eine Legende, als ich keine Angst mehr zu haben brauchte, dass er mich anbrüllt, weil ich was falsch gemacht habe, da ist mir der alte Sack richtig ans Herz gewachsen. Eddie Rake ist ganz sicher nicht sonderlich liebenswert, aber auch er ist ein Mensch. Nach Scottys Tod hat er furchtbar gelitten, und er hatte niemanden, an dem er sich halten konnte. Er hat viel gebetet, ist jeden Morgen in die Kirche gegangen. Ich glaube, die Romane haben ihm geholfen; sie haben ihm eine neue Welt eröffnet. Er hat die Bücher verschlungen, hunderte, vielleicht sogar tausende.« Ein kleiner Schluck Kaffee. »Es fehlt mir, dass er da drüben sitzt und über Bücher und Schriftsteller spricht, um nicht über Football reden zu müssen.«
Man hörte das leise Geräusch der Klingel an der Ladentür. Nat zuckte nur mit den Schultern und sagte:
»Die finden uns schon. Möchtest du einen Muffin oder so was?«
»Nein. Ich habe im
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