Der Coach
Renfrow gefrühstückt. Da ist alles beim Alten. Das gleiche Fett, die gleiche Speisekarte, die gleichen Fliegen.«
»Die gleichen Freaks, die herumsitzen und sich darüber aufregen, dass das Team nicht ungeschlagen bleibt.«
»Genau. Schaust du dir die Spiele an?«
»Nee. Als einziger bekennender Schwuler in einer Stadt wie der hier hat man nicht so viel übrig für große Menschenmengen. Die Leute starren einen an, zeigen mit dem Finger, flüstern und bringen ihre Kinder in Sicherheit. Ich bin das zwar gewöhnt, aber ich vermeide es doch lieber. Und außerdem müsste ich entweder allein hingehen, und das macht keinen Spaß, oder ich käme in Begleitung, und dann gäbe es wahrscheinlich gar kein Spiel. Kannst du dir vorstellen, was los wäre, wenn ich da Hand in Hand mit einem knackigen Knaben reinkäme? Die würden uns lynchen.«
»Wie hast du es hier eigentlich geschafft, dich zu outen?«
Nat stellte seine Kaffeetasse ab und vergrub die Hände tief in den Taschen seiner gestärkten und gebügelten Jeans. »Hier doch nicht. Nach der Schule bin ich gewissermaßen ausgewandert, nach Washington. Dort hab ich ziemlich schnell kapiert, wer ich bin und was mit mir los ist. Ich hatte kein zaghaftes Coming-out, Neely, sondern eines mit Pauken und Trompeten. Ich hab mir eine Stelle in einer Buchhandlung gesucht und bin dort in die Lehre gegangen. Fünf Jahre lang hab ich auf den Putz gehauen und mich amüsiert, aber dann hatte ich die Nase voll von der Großstadt. Ehrlich gesagt hatte ich Heimweh. Meinem Vater ging es gesundheitlich immer schlechter, also musste ich nach Hause zurück. Damals hab ich mich lange mit Rake unterhalten und ihm alles erzählt. Eddie Rake war der Erste hier, dem ich mich anvertraut habe.«
»Wie hat er reagiert?«
»Er sagte, er wüsste nicht viel über Schwule, aber wenn ich mir sicher wäre, wer ich bin, dann sollte ich alle anderen zum Teufel schicken. ›Leb einfach dein Leben, Junge‹, hat er gesagt. ›Ein paar Leute werden dich hassen, andere werden begeistert sein, und die meisten wissen ohnehin nichts damit anzufangen. Es liegt also an dir.‹«
»Das klingt nach Rake.«
»Ohne ihn hätte ich wirklich nicht den Mut gehabt. Dann hat er mir zugeredet, den Laden aufzumachen, und als ich schon dachte, ich hätte den größten Fehler meines Lebens begangen, kam Rake immer öfter her, und das hat sich herumgesprochen. Augenblick, lauf nicht weg.« Nat eilte in den vorderen Teil des Ladens, wo eine alte Dame wartete. Er begrüßte sie herzlich und mit Namen, und gleich darauf waren beide in die Suche nach einem Buch vertieft.
Neely trat hinter die Theke und goss sich eine weitere Tasse des schwarzen Gebräus ein.
Als Nat zurückkam, sagte er: »Das war Mrs. Underwood, die früher die Reinigung hatte.«
»Ich erinnere mich.«
»Sie ist hundertzehn Jahre alt und schwärmt, stell dir vor, für erotische Western. Als Buchhändler erfährt man die unglaublichsten Dinge. Sie glaubt wohl, dass sie bei mir getrost einkaufen kann, weil ich selbst so meine Geheimnisse habe. Aber mit hundertzehn schert sie sich wahrscheinlich ohnehin um nichts mehr.«
Nat legte einen riesigen Blaubeer-Muffin auf einen Teller und stellte ihn auf die Theke. »Greif zu«, sagte er und teilte den Muffin in zwei Hälften. Neely nahm sich ein kleines Stück.
»Machst du die selbst?«, fragte er.
»Jeden Morgen. Ich kaufe sie tiefgefroren und backe sie auf. Keiner merkt was.«
»Nicht schlecht. Hast du Cameron mal gesehen?«
Nat hörte auf zu kauen und maß Neely mit einem prüfenden Blick. »Wieso fragst du nach Cameron?«
»Ihr wart doch befreundet. Hat mich nur interessiert.«
»Ich hoffe, dein Gewissen quält dich gehörig.«
»Allerdings.«
»Gut. Ich hoffe, es tut ordentlich weh.«
»Vielleicht. Manchmal schon.«
»Wir schreiben uns. Es geht ihr gut, sie wohnt in Chicago. Ist verheiratet und hat zwei kleine Töchter. Aber nochmal: Warum willst du das wissen?«
»Darf ich mich jetzt nicht mal mehr nach einem Mädchen aus unserem Jahrgang erkundigen?«
»Unser Jahrgang umfasste knapp zweihundert Leute. Warum fragst du als Erstes nach ihr?«
»Ich bitte um Vergebung.«
»Nein, ich will’s jetzt wissen. Na los, Neely, warum fragst du nach Cameron?«
Neely schob sich ein paar Muffin-Krümel in den Mund und schwieg. Dann zuckte er die Achseln, lächelte und sagte: »Na gut, ich denke eben an sie.«
»Denkst du auch an Screamer?«
»Wie könnte ich die vergessen?«
»Du hast dich für das
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