Der Coach
hinunter, drehte sich dann noch einmal um und kam zurück. »Wie alt ist Jack?«, fragte er.
»Siebenunddreißig.«
»Dann wird er rein statistisch gesehen vor dir sterben. Ruf mich an, wenn’s so weit ist. Ich warte.«
»Natürlich.«
»Ganz sicher. Ist es nicht beruhigend zu wissen, dass da jemand immer auf dich wartet?«
»Darüber hab ich noch nie nachgedacht.«
Er beugte sich zu ihr hinunter und schaute ihr in die Augen. »Darf ich dich auf die Wange küssen?«
»Nein.«
»Die erste Liebe hat etwas Magisches, Cameron. Das werde ich mein Leben lang vermissen.«
»Leb wohl, Neely.«
»Darf ich dir sagen, dass ich dich liebe?«
»Nein. Leb wohl, Neely.«
FREITAG
Messina trauerte wie nie zuvor. Um zehn Uhr am Freitagmorgen waren sämtliche Geschäfte, Cafés und Büros rund um den Stadtplatz geschlossen. Alle Schüler bekamen unterrichtsfrei. Das Gericht schloss seine Pforten. In den Fabriken am Stadtrand wurde der Betrieb eingestellt. Es war wie ein zusätzlicher Feiertag, und doch war kaum jemand in Feiertagsstimmung.
Mal Brown verteilte seine Stellvertreter rund um die Highschool, wo sich am Vormittag der Verkehr auf der Straße zum Rake Field staute. Um elf war die Haupttribüne schon fast voll, und die ehemaligen Spieler, die einstigen Helden, umringten das Zelt an der FünfzigYard-Linie. Die meisten trugen ihr grünes Spielertrikot, das jeder Spieler nach dem Schulabschluss geschenkt bekam. Und die meisten Trikots spannten ein wenig um die Mitte. Einige – die Anwälte, Ärzte und Banker – trugen ein Sportsakko über dem Trikot, doch das Grün blieb sichtbar.
Von den Tribünen schauten die Fans auf das Zelt und auf das Feld herunter und genossen die Gelegenheit, sich gegenseitig ihre alten Helden zu zeigen. Die Spieler, deren Trikots aufgehängt worden waren, erregten am meisten Aufsehen. »Das da ist Roman Armstead, die 81, der hat für die Packers gespielt.« – »Das ist Neely, die 19.«
Das Streichquartett der Abschlussklasse der Highschool spielte vor dem Zelt, und die Lautsprecheranlage trug die Töne von einer Endzone zur anderen. Und immer noch füllten sich die Reihen. Die Stadt fand sich fast geschlossen ein.
Der Sarg war fort. Eddie Rake ruhte bereits unter der Erde. Miss Lila und die Familie kamen ohne viel Aufhebens auf das Feld und brachten etwa eine halbe Stunde damit zu, vor dem Zelt ehemalige Spieler zu umarmen. Kurz vor Mittag traf der Priester ein, dann ein Chor, und der Besucherstrom riss noch immer nicht ab. Als auf der Haupttribüne kein Platz mehr war, stellten sich die Leute an den Zaun um die Tartanbahn. Niemand trieb zur Eile an. Messina wollte diese Stunden auskosten, um sich für immer daran erinnern zu können.
Rake hatte sich gewünscht, seine Jungs auf dem Feld zu haben, rund um das kleine Rednerpult direkt neben dem Zelt. Und er hatte sich gewünscht, dass sie ihre Trikots trugen, eine Bitte, die sich in den letzten Tagen seines Lebens wie von selbst verbreitet hatte. Eine Plane bedeckte die Tartanbahn, und darauf standen mehrere hundert Klappstühle, in einem Halbkreis angeordnet. Gegen halb eins gab Pastor McCabe das Zeichen, und die Spieler begaben sich auf ihre Plätze. Miss Lila saß mit der Familie in der ersten Reihe.
Neely hatte zwischen Paul Curry und Silo Mooney Platz genommen, um sie herum befanden sich dreißig weitere Mitglieder des Teams von 1987. Zwei Spieler waren tot und sechs verschollen. Die Übrigen hatten es nicht geschafft zu kommen.
Von den nördlichen Goalposts her erklang die klagende Weise eines Dudelsacks, und es wurde still ringsum. Silo wischte sich die ersten Tränen weg, und er war nicht der Einzige. Als die letzten traurigen Töne über dem Spielfeld verklangen, waren die Trauernden weich geworden und bereit, sich von heftigen Gefühlen überwältigen zu lassen. Pastor McCabe trat gemessenen Schrittes an das improvisierte Rednerpult und bog das Mikrofon zurecht.
»Seien Sie willkommen«, sagte er mit einer hellen Stimme, die schneidend aus den Stadionlautsprechern erklang und noch im Umkreis von anderthalb Kilometern zu hören war. »Willkommen bei unserer Feier zu Ehren des verstorbenen Eddie Rake. Im Namen von Mrs. Lila Rake, ihren drei Töchtern, ihren acht Enkelkindern und der übrigen Familie möchte ich Sie alle begrüßen und Ihnen dafür danken, dass Sie gekommen sind.«
Er blätterte in seinen Notizen. »Carl Edward Rake kam vor zweiundsiebzig Jahren in Gaithersburg, Maryland, zur Welt. Vor achtundvierzig Jahren
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