Der Code des Luzifer
seine Richtung, aber der mit dem Gewehr reagierte als Erster. Ohne das Gewehr von der Schulter zu nehmen, bremste er so scharf ab, dass der Schnee in hohem Bogen aufstob. Und gleich darauf hörte Max einen beängstigend lauten Knall.
Der Mönch geriet ins Straucheln und schwankte. Er konnte sich gerade noch auf den Beinen halten. Offenbar war er getroffen worden. Er brauchte Hilfe. Max setzte sich sofort in Bewegung. Tief geduckt, eine Hand durch den Schnee schleifend, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, glitt er im Zickzack auf den Verwundeten zu. Er fürchtete, der Mann mit dem Gewehrkönnte auch auf ihn schießen, aber das geschah nicht. Stattdessen schlug ein ohrenbetäubender Lärm über ihm zusammen.
Ein eisiger Luftschwall traf ihn ins Gesicht. Der ganze Berg schien zu brüllen. Der Schütze war nach einer scharfen Kehre schon auf der Flucht, weg von Max, dem Mönch und den Schneemassen, die den Hang hinunter auf sie zustürzten.
Der Verletzte sah Max an. Und zeigte mit einem Skistock – die Bäume! Sie mussten unter die Baumgrenze, falls sie noch irgendeine Chance zum Überleben haben wollten. Max erspähte den Fluchtweg und der Mönch fuhr schon, so schnell er konnte, zu Tal, um dem Zorn des Berggottes zu entkommen.
Max’ Vater hatte ihm oft gesagt, Angst zu haben sei etwas Natürliches, Angst habe einen ganz bestimmten Sinn und könne überwunden werden, nur hatte er ihm leider nie gesagt, dass es Dinge gab, die einem solch gewaltige Angst einjagen konnten.
Das anschwellende Donnern hinter ihm verschlug ihm fast den Atem. Seine Muskeln schmerzten vor Anstrengung, aber er konzentrierte sich weiter auf die Stelle, die er erreichen musste. Eine mächtige Windfaust hämmerte ihm in den Rücken. Jetzt lachte Max nicht mehr. Ein solches Rennen machte keinen Spaß. Diesmal ging die Lawine nicht in einiger Entfernung nieder. Sondern genau über ihm. Aus den Augenwinkeln sah er Bäume umknicken wie Streichhölzer – die Schneewoge überholte ihn.
Und dann war er mittendrin.
In dem wirbelnden Chaos wurden ihm das Snowboard von den Füßen und die Skimaske vom Gesicht gerissen. Schnee, körnig wie nasser Sand, drang ihm in Mund und Ohren.
Eine Erinnerung blitzte auf. Etwas, das sein Vater einmal gesagt hatte. Wortfetzen. Überleben. Es ging ums Überleben. Erinneredich! Niemals alleine in den Bergen Ski fahren. Regel Nummer eins – nicht dran gehalten. Niemals in einer Gegend Ski fahren, wo kurz vorher Lawinen abgegangen sind. Regel Nummer zwei – nicht dran gehalten. Lawinengefahr besteht immer dort, wo Neuschnee auf einem vom Wind abgewandten Berghang liegt. Das wusste er doch! Das hatte er gewusst! Und trotzdem hatte er es ignoriert, weil er sich so dumm über seine Niederlage bei dem Wettbewerb geärgert hatte.
So schnell, wie der Schnee ihn mit sich riss, verhöhnte ihn die Stimme in seinem Kopf. Überleben! Wie?
Schwimmen! Du musst dich oben auf der Schneewoge halten, wie beim Kraulen.
Max ruderte mit den Armen und versuchte den Kopf so zu halten, dass er die fliehenden Himmelfetzen hinter den tobenden Schneemassen im Blick behielt. Er spuckte Schnee aus und schüttelte sich. Immer nach oben sehen! Er spürte die ungeheure Energie der Lawine förmlich in seinem Körper. Sie schleuderte ihn hin und her und spie ihn wieder aus. Auf einmal war alles totenstill. Aber nicht die Lawine war plötzlich stehen geblieben, sondern Schnee hatte ihm beide Ohren verstopft.
Ein Hoffnungsschimmer. Blauer Himmel. Er reckte einen Arm nach dem goldenen Lichtstrahl. Die Sonne. Ein schmaler Streifen zwischen dem blauen Himmel und dem wirbelnden Schnee. Atmen! Luft! Du schaffst es! Du kannst dich von diesem Monster befreien! Du kannst überleben!
Dunkelheit schlug über ihm zusammen.
Wütende Zähne schienen ihn von allen Seiten zu beißen, als er kopfüber den Hang hinabpurzelte. Er wusste kaum noch, wo er war.
Dann war es endlich vorbei. Max konnte sich nicht mehr bewegen.Ein gewaltiges Gewicht drückte auf seine Brust. Offenbar lag er auf dem Rücken und starrte nach oben, denn der Schnee über ihm war bläulich gefärbt. Wie tief war er begraben? Er musste irgendwie den Schnee von seinem Gesicht wegbekommen, damit er atmen konnte, aber seine Arme waren wie gelähmt. Er steckte mindestens einen Meter tief im Schnee. Panik machte sich breit. Er wusste, es würde ihn die letzten Kräfte kosten, wenn er jetzt gegen die drückende Last anzukämpfen versuchte. Er musste sich zusammenreißen. Sich beruhigen und
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