Der Code des Luzifer
wurde er doch noch irgendwie fertig.
Mit einem verlegenen Grinsen versuchte er die peinliche Situation zu überspielen. Und dann erkannte er, dass er die naheliegendste Frage noch gar nicht gestellt hatte: »Was machst du eigentlich hier oben?«
Ein kleiner Schneeklumpen glitt an seinem Rücken hinunter und landete in seinen Boxershorts. Er zuckte zusammen und machte Verrenkungen wie bei einem exotischen Tanz. Sophie bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick, zog eine Augenbraue hoch und schüttelte den Kopf, als sei es unter ihrer Würde, einem Jungen zu antworten, der sich offensichtlich nicht im Griff hatte.
Sie hob ihren kleinen Rucksack auf. »Ich möchte Bruder Zabala besuchen. Wo ist er?«
»Du kennst ihn?«
Sie ging zum Eingang der Hütte, Max folgte ihr. »Mein Vater kennt ihn. Er kümmert sich um die wilden Tiere in dieser Gegend. Der Bär und der Adler, die du gesehen hast …«
»Die habe ich nicht bloß gesehen. Die haben mich beinahe zu ihrem Frühstück gemacht«, unterbrach er sie.
»Nun, diese wilden Tiere, vor denen du dich als Tourist aufspielenmusstest, sind einige der Geschöpfe, die wir zu erhalten versuchen. Bruder Zabala lebt seit Jahren hier oben. Er ist praktisch ihr Schutzengel.«
Max reagierte mit einem Mal gereizt. Plötzlich schien ihm dieses hübsche kleine Mädchen irgendwie verdächtig. »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Was machst du hier oben?« Ohne nachzudenken, packte er sie am Arm.
Sie riss sich von ihm los. »Was hast du denn bloß? Ich dachte, er weiß vielleicht, wo mein Bruder ist! Mein Vater und mein Bruder haben mit Zabala zusammengearbeitet!«
Der verschwundene Bruder. Den hatte Max ja völlig vergessen.
»Entschuldige, Sophie. Aber die letzten Tage waren ziemlich verwirrend für mich.« Er gab den Eingang zur Hütte frei.
Sie trat ein und schrie auf. Max beobachtete schweigend ihre Reaktion. Sie hob eine Hand an die Lippen. Ihr Schreck wirkte echt. War es nur Zufall, dass sie zur selben Zeit hier oben war wie er?
Vertraue niemandem – sie werden dich töten.
Also wirklich, du Idiot! Sieh sie dir an! Ein Mädchen, das seinen verschwundenen Bruder sucht! Du hast ihr geholfen . Das ist der Grund, warum diese Gangster hinter dir her sind. Weißt du nicht mehr?
Sie ging in dem Raum umher und sah sich die Verwüstung an. Um sich irgendwie von dem schrecklichen Anblick abzulenken, hob sie ein paar Bücher vom Boden auf und stellte sie in ein Regal zurück. Max vermochte ihre Stimmung nicht zu deuten. War es Trauer oder Angst, dass sie so leise sprach?
»Wo ist er?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, log Max. »Ich war vor zwei Wochen hier oben zum Training. Bin nur zurückgekommen, um nach demWettkampf etwas Abstand zu gewinnen. Bin noch nicht lange hier. Die Tür war zertrümmert. Also habe ich nachgesehen, ob da nicht vielleicht jemand verletzt ist.« Er spürte schon beim Sprechen, wie entsetzlich lahm sich das anhörte.
Sie sagte nichts. Aber Max bemerkte ihre Unsicherheit. Ob sie ihm glaubte?
»Kennst du Bruder Zabala?«, fragte sie ihn.
»Nur, was du mir von ihm erzählt hast.«
»Aber als ich vorhin sagte, dass ich ihn kenne, warst du überrascht. Du wusstest seinen Namen. Wie kann das sein? Was verheimlichst du mir?«
Max bewahrte die Ruhe. Ihre klaren Fragen verlangten eine logische Antwort. Er ging auf sie zu, aber sie wich einen Schritt zurück.
»Schon gut, Sophie«, sagte er und streckte ihr eine Hand entgegen, als wolle er ein verängstigtes Tier beruhigen. »Schau mal …« Max nahm ein zerlesenes Buch über Astronomie, schlug es vorne auf und zeigte es ihr. »Hier steht sein Name. In den anderen wahrscheinlich auch.«
In den Einbanddeckel waren die Worte Ex Libris gestempelt. Unter der lateinischen Inschrift stand mit Tinte geschrieben der Name Zabala, das Z mit einem schwungvollen Schnörkel.
Dass die Antwort so einfach war, schien sie eher zu beunruhigen. Sie nahm die Bücher, die sie ins Regal gestellt hatte, und blätterte sie auf. In jedem einzelnen erklärte dieselbe Inschrift dem Leser, dass es in Zabalas Bibliothek gehörte. Sie nickte. »Entschuldige, Max. Ich hätte nicht so misstrauisch sein sollen. Und was machen wir jetzt?«
Eigentlich müssten sie jetzt die Polizei verständigen, dachte Max. Er hatte sich bereits dagegen entschieden – aber warum hatte sie noch nichts davon gesagt?
Noch bevor er selbst irgendeinen Vorschlag in dieser Richtung machen konnte, ergriff Sophie plötzlich wieder das Wort. Fast
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