Der Code des Luzifer
gegenüber. »Die Sache ist wirklich gefährlich«, wiederholte sie hilflos.
»Für wen?« Die Stimme der Komtess klang neutral. Kein Argwohn, kein Verdacht. Nur eine Frage. Würde das Mädchen aufrichtig antworten?
»Für jeden, der ihn kennt«, sagte Sophie.
Die Komtess wusste nicht, ob sie Sophie trauen konnte. Diese Mandelaugen waren unergründlich, und sie war es gewohnt, Menschen an ihren Augen zu erkennen. Eine graue Wolke schob sich zwischen Meer und Himmel und im Zimmer wurde es dunkel. Sophie erschien in diffuses Licht gehüllt, ein Leuchten, das nur sehen konnte, wer die Gabe hatte. Die alte Frau sah die fahlen Wirbel um das Mädchen tanzen. Offenbar war Sophie äußerst besorgt, verbarg das aber außerordentlich gut. Und da waren auch Schmerz, Trauer und Angst. Nicht die Angst vor physischer Bedrohung, sondern die Angst einer jungen Frau, die sich ihrer Gefühle nicht sicher war.
Max’ Aura war ausgeprägt und unbeschädigt gewesen, ein Beweis für seine Kraft und Gesundheit; aber die des Mädchens war brüchig – enorme Energie, fest eingekapselt. Von ihrem Schattenkörper gingen rote Lichtblitze aus. Als sie die widerstreitenden Gefühle des Mädchens erkannte, stöhnte die Komtess auf. Sie konnte nicht anders.
Entweder war Sophie Fauvre in Max Gordon verliebt oder sie wollte ihn töten.
Der unauffällige Eingang zum Château d’Antoine d’Abbadie konnte von vorbeikommenden Autofahrern leicht übersehen werden. Keine großen Schilder wiesen darauf hin und von der Straße aus war das Château nicht zu sehen. Bobby lenkte den Kleinbus unter die Bäume, die die schmale asphaltierte Zufahrt säumten. Nach etwa hundert Metern zeigte sich rechts ein kleiner Parkplatz, der mit einem Zaun aus Kokosmatten abgegrenzt war. Dort stand ein Auto mit deutschem Kennzeichen, und ein Stück weiter weg sah Max einen Mann und eine Frau, offensichtlich Touristen, die vor dem grauen Gebäude auf etwas zu warten schienen. Dort musste der Eingang sein.
»Warte hier. Ich seh mal nach, ob wir hier richtig sind«, sagte Max.
Die kahlen Zweige der Bäume verhinderten noch immer eine klare Sicht auf das Gebäude, aber immerhin konnte Max jetzt die Umrisse erkennen. Das Gemäuer aus Stein, das schwarze Schieferdach. Das Château war nicht so groß wie ein mittelalterliches Schloss, sah aber mit dem hohen Wall auf der einen Seite ein wenig danach aus. Die andere Seite war schon typischer für ein französisches Château. Dieser d’Abbadie musste eine Menge Fantasie gehabt haben, dachte Max, denn das alles machte den Eindruck von einem Disneyland des neunzehnten Jahrhunderts. Andererseits wirkte es irgendwie unheimlich. Wasserspeier mit hässlichen Fratzen, Gestalten der Mythologie, die höhnisch zu lachen schienen, starrten von den Ecken des Gebäudes auf ihn herunter. Mythische Gegenstücke zu Schrottplatzhunden knurrten lautlos: »Zutritt verboten!« Max blieb abrupt stehen. Von der Fassade starrte ihn eine ungeheure Schlange an, eine gigantische Anakonda, die da ins Gemäuer gemeißelt war. Den Kopf hoch aufgerichtet, wand sich ihr Körper in der Form eines S, ihr Schwanz war zu einer Acht geringelt. Mit laut pochendem Herzen – denn jetzt wusste er, dieses Château war der Schlüssel zu Zabalas Tod – ging Max ein paar Meter weiter auf das Gebäude zu. Der Anblick entsprach exakt dem Foto, das er in Zabalas Hütte gefunden hatte. Acht Stufen, unten breit, nach oben hin schmaler, führten zu dem roten Eingangsportal. Der gotische Bogen, der auf dem Foto nur teilweise zu sehen gewesen war, endete unter einem Relief, das einen Schild und ein Schwert darstellte. Um Griff und Klinge des Schwerts wand sich eine weitere Schlange. Zwei Palmen säumten den Eingang.
Steinerne Krokodile, eins auf jeder Seite, lagen auf den niedrigenBalustraden neben den Treppenstufen und glotzten ihn an. Ihre Schwänze zeigten nach oben gekrümmt auf die Tür. Die Mäuler weit aufgerissen, erweckten sie den Eindruck, als wollten sie jeden Besucher anfallen.
Max biss so fest die Zähne zusammen, dass es wehtat. Er war schon einmal von richtigen Krokodilen angegriffen worden, und diese beinahe lebensecht aussehenden Biester ließen ihn erschaudern. Damals hatte sein Vater ihm alte Grabmäler in Ägypten gezeigt. Dort wurden Krokodile wie Götter verehrt. Max erinnerte sich an den Namen des Krokodilgottes: Sobek. Man glaubte, er sei aus dem »dunklen Wasser« gekommen, um die Welt zu erschaffen. Außerdem bewachte er die Toten. Und diese
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