Der Code des Luzifer
Wieder lächelte er den beiden Jungen zu, dann gab er Max die Broschüre. »Wir haben noch eine. Viel Spaß noch, Jungs«, sagte er und verschwand mit seiner Frau im Korridor.
Sayid ließ sich auf einen der Stühle sinken und massierte sein schmerzendes Bein. »Immerhin gut zu wissen, dass Verräter hier beim Essen nicht willkommen sind.«
Max schüttelte den Kopf. »Das ist alles nur Augenwischerei und interessiert uns nicht. Wenn Zabala so viele Jahre hier gearbeitet hat, muss er an der wissenschaftlichen Forschung beteiligt gewesen sein. Oben gibt es noch eine Bibliothek und ein Observatorium.«
Er spähte in den Korridor. Die Deutschen gingen gerade in eins der anderen Zimmer und so begab er sich mit Sayid zur Eingangshalle, von wo eine Holztreppe mit schön geschnitztem Geländer nach oben führte.
»Komm«, sagte Max. »Huckepack.«
Auf der Treppe spürte er das zusätzliche Gewicht deutlich in seinen Beinen, aber das machte ihm nichts aus. Die Gewissheit, dass er sich dem Ort näherte, an dem Zabala so viele Jahre gearbeitet hatte, verlieh ihm Flügel.
Auf dem oberen Treppenabsatz hingen riesige Porträts von äthiopischen Stammesfürsten in weißen Umhängen, umringt von speertragenden Kriegern, das Ganze vor einem tiefblauen Himmel. Die üppige Ausstattung des Châteaus schien so gar nicht zu der schlichten Hütte zu passen, die Zabala auf dem Berg bewohnt hatte. Max rief sich ins Gedächtnis, dass Zabala zum Mönch geworden war, nachdem er aufgehört hatte, hier zu arbeiten, weil er niemanden davon hatte überzeugen können, dass irgendein furchtbares Ereignis bevorstand. Nach Antoine d’Abbadies Tod hatte die Akademie der Wissenschaften das Château übernommen, und so hätte Zabala die gesamte französische Wissenschaft gegen sich gehabt, wenn er nicht beweisen konnte, dass Luzifer – wer auch immer das sein mochte – ein großes Zerstörungswerk plante. Er war ein baskischer Außenseiter, ein Mann, der sein Scheitern nicht verwinden konnte, schließlich aber ermordet wurde, weil seine Prophezeiung offenbar doch nicht ganz aus der Luft gegriffen war. Wer profitierte davon, wenn Zabalas Theorie nicht bekannt wurde?
Verzerrte Schatten lagen über dem Treppenaufgang. Das dunkle Holz verschluckte den letzten Rest von Tageslicht. Arabische Schilde und Schwerter, einst von Kriegern getragen, zierten die Wände. Antilopenköpfe – Jagdtrophäen – starrten in stummer Angst mit blinden Augen in die Prunkräume des neugotischen Schlosses, das sie zu Lebzeiten nie zu sehen bekommen hätten.
Plötzlich fühlte sich Max von all diesen Gemälden und Gegenständen überwältigt. Die Farbenpracht der Dekorationen erdrückteihn fast wie ein übertrieben geschminktes Clownsgesicht, unter dessen falschem Lachen sich Unglück und Elend verbargen. Sie bogen um eine Ecke und gelangten in das nächste Zimmer.
»Wow! «, sagte Sayid verblüfft.
Auf dem Holzfußboden in der Mitte des Raums stand ein langer, stabiler Tisch mit wissenschaftlichen Apparaten und einer alten Schreibmaschine. In Regalen, die vom Boden bis zur Decke reichten, lagerten Karten, Tabellen und Aktenordner. Das Lebenswerk eines Forschers. Die oberen Regalbretter verschwanden im Dunkel unter der fast schwarzen Holzdecke. Hier, in dieser schmucklosen Umgebung, konnte sich ein Gelehrter wahrhaftig ungestört auf seine wissenschaftliche Arbeit konzentrieren. Es war, als seien Max und Sayid hinter eine Fassade getreten und ins wahre Innere des Châteaus gelangt. Würden sie hier Zabalas Geheimnis finden?
Gusseiserne Säulen trugen die Galerie, die in halber Höhe der Wände um den ganzen, ungefähr sechs Meter hohen Raum herumlief. In den Bücherreihen war keine einzige Lücke zu sehen. Oben an einer Wand stand in mattgoldenen Buchstaben auf Schwarz etwas in Baskisch, das Max nicht entziffern konnte.
Aber er liebte Bücher. Und Landkarten. Alles, was ihm Geschichten über Orte erzählte, die er noch nicht kannte. Seekarten, auf denen Riffe und Sandbänke, Gezeiten und Gefahren verzeichnet waren. Überall warteten Abenteuer. Aber das hier war etwas Einzigartiges – hier konnte er darüber hinaus einen Blick in das Leben eines außerordentlichen Mannes werfen.
Max wusste, sein Vater könnte Jahre in diesem Raum zubringen und jedes Blatt Papier studieren, das d’Abbadie beschrieben hatte. Er strich mit den Fingern über die Buchrücken.Ein leises Summen lenkte seinen Blick auf einen Luftentfeuchter, der in einer Ecke stand. Ja, natürlich. So nah
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