Der Colibri-Effekt
schilderte.
Jetzt
wusste Dag, was passiert war. Rutger konnte sich keinesfalls mit der
norwegischen Polizei einlassen, da er schon seit Längerem gesucht wurde. Also
war er umgekehrt und nahm notgedrungen einen Umweg in Kauf. Das verschaffte Dag
einen grob geschätzten Vorsprung von einer Stunde, wenn er selbst ohne weitere
Unterbrechungen bis Risør durchkam.
Sedat
grinste auf dem Beifahrersitz. »Wer lenken kann, ist klar im Vorteil.«
Dags
Miene blieb versteinert. Humor gehörte nicht zu seinem Gefühlsrepertoire. Dass
sie vor Rutger in Risør sein würden, war alles, was zählte. Und vielleicht
würden sich ja dort bereits all ihre Probleme lösen. Vielleicht würden sie dort
finden, wonach alle suchten.
Als
Haderlein mit Riemenschneider den Raum betrat, in dem er noch vor wenigen
Stunden gesessen und gespeist hatte, drehten sich alle Anwesenden nach ihm um.
Im Zimmer befanden sich Helga, die Haushälterin, die mit starrem Blick in einem
alten Polstersessel saß, eine junge Polizeipsychologin, die ihre Hand hielt,
ein Kollege der Spurensicherung, der den Raum untersuchte, und ein zweiter, der
auf dem Flur umherschlich und nun ins Zimmer spähte. Riemenschneider hatte in
den Armen des Hauptkommissars ihre Schockstarre überwunden, also setzte
Haderlein das Ferkel ab. Die Riemenschneiderin schüttelte sich kurz und begann
schnurstracks ihre Um- gebung zu erkunden. Haderlein ging derweil zu der
Haushälterin hinüber.
»Wie geht
es Ihnen?«, fragte er mitfühlend und zog sich einen Stuhl heran, um sich ihr
gegenüber niederzulassen.
Die
Haushälterin sah ihn mit einem wächsernen Gesichtsausdruck an. »Wie geht es
ihm? Wird er es überleben?«, fragte sie tonlos.
Haderlein
schaute zu Boden. »Ich weiß es nicht«, sagte er ehrlich. »Ich fürchte, es wird
eine sehr schwierige Nacht für den Baron werden. Tut mir leid.« Bedauernd kniff
er die Lippen zusammen, dann schaute er ihr in die Augen.
Die
Haushälterin wich seinem Blick zwar nicht aus, wurde aber noch eine Nuance
blasser. Hilflos wanderte ihr Blick zwischen der Polizeipsychologin und
Haderlein hin und her.
»Sagen
Sie, wie ist eigentlich Ihr vollständiger Name?«, fragte der Hauptkommissar
unvermittelt, als ihm auffiel, dass er nicht wusste, wie er die Haushälterin
korrekt anreden sollte.
Die
Angesprochene wirkte, als wäre ihr Geist just in diesem Moment für immer
eingefroren. Haderlein wartete eine Weile, aber nichts geschah. Dann hakte er,
so vorsichtig es eben ging, nach. Schließlich waren die persönlichen
Verhältnisse der unmittelbar Beteiligten grundsätzliche Angaben, die es
abzufragen galt.
Die Augen
der Haushälterin leuchteten für einen kurzen Moment auf, als würde sie aus
einer Starre erwachen, dann kamen die Worte leise über ihre Lippen:
»Falkenberg, Helga Falkenberg. Mit mehr Namen kann ich nicht dienen, ich war
nie verheiratet.«
»Wunderbar,
Frau Falkenberg. Und seit wann stehen Sie schon in den Diensten des Barons?« Er
formulierte seine Frage so langsam und unaufgeregt wie möglich, um die
Konstitution der Frau nicht noch stärker ins Wanken zu bringen. Die
Polizeipsychologin hatte ihm sowieso schon einen drohenden Blick zugeworfen.
»Seit
etwa zwei Jahren«, sagte Helga Falkenberg nun etwas lauter. »Seit er dieses
Projekt auf der Burg begonnen hat und hier eingezogen ist. Und wir stehen in
keinem verwandtschaftlichen oder anderweitigen Verhältnis, falls das Ihre
nächste Frage wäre.«
Haderlein
nickte und lächelte amüsiert. Diese Frau hatte eine gute Erziehung genossen und
achtete ergo auf eine korrekte Einstufung ihrer sozialen Verhältnisse sowie
ihrer Beziehung den Baron betreffend. Trotzdem musste Haderlein nun zum Kern
des Gespräches vordringen, zu den Geschehnissen der heutigen Nacht. Wenn
überhaupt, dann konnte nur Frau Falkenberg ihnen weiterhelfen. Vielleicht hatte
sie ja irgendetwas gesehen.
»Also, Frau
Falkenberg«, begann Haderlein seine heikle Mission, »wie haben sich die Dinge
heute Nacht denn aus Ihrer Sicht abgespielt?«
Haderleins
Sorge schien umsonst gewesen zu sein. Überraschenderweise erzählte die
Haushälterin dem Kriminalhauptkommissar bereitwillig, wie sich alles abgespielt
hatte.
Kurz
bevor sie zu Bett hatte gehen wollen, habe der Baron sich angezogen, sein
Gewehr genommen und gesagt, Reis hin oder her, er wolle jetzt endlich etwas
gegen diese Biber unternehmen. Dann sei er nach draußen gegangen und sie ins
Bett. Kurz darauf habe sie zwei Schüsse gehört, sich aber keine Sorgen
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