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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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geschleudert,
knallend öffneten sich die weißen Ballons in den Fahrzeugen.
    Als
Rutger wieder zu sich kam, fiel sein Airbag mit einem zischenden Geräusch in
sich zusammen. Vor seinem Gesicht, nur wenige Zentimeter entfernt, sah er die
zackigen Glasränder der ehemaligen Windschutzscheibe, und dort, wo einmal der
Rückspiegel befestigt gewesen war, prangte jetzt ein verbogenes
Kfz-Kennzeichen.
    »Scheiß
Tourist«, flüsterte er gequält, während die Ziffern und Zahlen schärfer wurden.
Es war ein deutsches Autokennzeichen. » HAS «,
konnte Rutger lesen, der Rest war zur Unkenntlichkeit verbogen.
    Er quälte
sich aus dem Auto und tastete sich ab. Offensichtlich war er unverletzt. Anton,
sein Fahrer, stand zwar benommen, aber anscheinend ebenso ohne körperliche
Schäden neben dem Volvo. Im Führerhaus des ehemaligen Wohnmobils tat sich
unterdessen nichts. Die Wahnsinnigen, die das Gefährt gesteuert hatten, trauten
sich wohl nicht an die frische Luft. Wütend wollte er sehen, wer da rückwärts
auf der falschen Straßenseite unterwegs gewesen war, und sah im Vorbeilaufen,
dass sich sein eigener Wagen bis zur Windschutzscheibe unter den hinteren Teil
des völlig zerstörten Wohnmobils geschoben hatte und die Hinterräder in der
Luft schwebten. Gemeinsam versperrten beide Fahrzeuge die gesamte Straße und
verhinderten jegliches Weiterkommen.
    Im
Führerhaus saß ein mindestens siebzig Jahre alter Rentner mit Hut völlig
verkrampft hinter dem Steuer. Daneben hockte eine mindestens genauso alte Frau,
die sich kreidebleich noch immer mit beiden Händen auf dem Armaturenbrett
abstützte. Sie war den Tränen nahe.
    Rutger
klopfte an die Seitenscheibe, doch der alte Herr mit dem verbissenen Blick
reagierte nicht. Er unterdrückte den Wunsch, die beiden Alten einfach
abzuknallen. Es wäre ein riesiger Fehler gewesen, denn bald schon würde die
norwegische Polizei hier auftauchen, und sie durften keinen unnötigen Verdacht
erregen. Er ging zu den anderen zurück und verschaffte sich einen Überblick
über die Lage. Alle waren unverletzt, der zweite Volvo hatte sogar noch
rechtzeitig ausweichen und bremsen können, aber die Straße war bis auf Weiteres
unpassierbar.
    Rutger
beschloss, mit dem intakten Volvo über einen Umweg nach Risør zu fahren. Zwei
Stunden würden dafür zwar draufgehen, aber die würden ihm lästige Formalitäten
und Fragen ersparen. Die anderen beiden sollten den Unfall mit der Polizei
regeln und später nachkommen.
    Sie
packten sämtliche Waffen in den unversehrten Volvo, und wenige Sekunden später
waren Rutger und sein Fahrer verschwunden.
    Dag
registrierte den Volvo und seine beiden Insassen erst, als der Wagen bereits an
ihnen vorbeigerauscht war.
    »Das war
Rutger«, stieß Dag verblüfft aus. »Aber wieso fährt er wieder zurück?« Er
schaute Sedat fragend an, doch der zuckte nur ahnungslos mit den Schultern.
    Rutger
bremste ab, blieb am Straßenrand stehen und überlegte fieberhaft. Viele
Szenarien, die Rutger zum Umdrehen gezwungen haben könnten, gab es nicht. Vor
allem, weil der Nissan noch immer schnurgerade nach Risør fuhr, wenn das GPS nicht log.
    Hatte
Rutger neue Informationen erhalten? Hatte er etwas in Bergen vergessen? Oder
machte er sich vielleicht Sorgen um seine beiden Helfershelfer, die sich nicht
mehr gemeldet hatten? Aber wieso war ihnen nur Rutger entgegengekommen? Wo war
der zweite Volvo mit den beiden anderen abgeblieben?
    »Wir
fahren weiter«, beschloss Dag nach einer Minute des Schweigens. »Keine Ahnung,
was passiert ist, aber wir werden dem Signal folgen.« Er trat aufs Gas, und der
Jeep beschleunigte wieder.
    Die
Erklärung für Rutgers eigenartiges Verhalten offenbarte sich ihnen einige
Kilometer später. Es hatte sich ein Stau von vielleicht zwanzig Fahrzeugen
gebildet, was in Norwegen zu dieser frühen Stunde bedeutete, dass seit dem
Unfall circa eine Stunde vergangen sein musste. Ein Abschleppwagen mit
aufgebautem Kran schaffte gerade ein deutsches Wohnmobil auf die Seite. Direkt
dahinter stand ein zerstörter Volvo, neben dem zwei kurz geschorene Typen in
schwarzen Jacken in eine heftige Diskussion mit den Besitzern des Wohnmobils
und der norwegischen Polizei verwickelt waren. Fünfundvierzig Minuten später
war die Unfallstelle passierbar, und die Autoschlange setzte sich langsam
wieder in Bewegung. Dag und Sedat konnten einen älteren Herrn sehen, der wild
herumfuchtelnd den norwegischen Polizisten den Unfallhergang aus seiner
Perspektive

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