Der Consul
Schritts zur Haustür und klingelte. Ich trat ein Stück zurück und sah, wie das Licht in Fleischers Wohnung anging. Ich drückte mich an die Haustür, um nicht gesehen zu werden, wenn jemand sich dem Haus näherte. Bald hörte ich Schritte auf der Treppe. Das Schloss klackte, Fleischer schaute durch den Türspalt. »Komm rein, schnell«, sagte er und packte mich an der Schulter. Er zog mich die Treppe hoch, erst in der Wohnung ließ er mich los.
Wir setzten uns ins Wohnzimmer, ich zündete mir eine Zigarette an. Fleischer stellte einen Aschenbecher vor mich und sagte: »Sie waren gestern hier. Irgend jemand hatte ihnen erzählt, ich sei dein Arzt.«
»Wer war hier?«
»Na, die Polizei, wer sonst? Sie haben mich ausgequetscht. Wollten wissen, wo du bist. Murmelten was von Mord. Sie haben eine Leiche in irgendeinem See gefunden. Und du sollst einen umgebracht haben.«
»Und was hast du gesagt?«
»Die Wahrheit. Ich bin dein Hausarzt, ich habe dich schon ewig nicht mehr gesehen, ich weiß nicht, wo du dich herumtreibst. Heute müsste ich denen was anderes erzählen.«
»Wer hat dich befragt?«
»Ein Kommissar Wahlfried oder Wohlfried. Na ja, so ähnlich.«
Wohlfeld also. Er wusste, wer mein Hausarzt war. Erstaunlich, dass er so spät aufgetaucht war. Wenn er erfuhr, dass ich in meiner Wohnung war, würde er vielleicht noch mal herkommen. »Du hast doch ein Auto mit Arztschild.«
Fleischer nickte.
»Dann bring mich nach Weißensee. Ich beschreib dir den Weg.«
Fleischer schnaufte, dann erhob er sich. »Hast du den Mann im See ermordet?«
»Nein, aber ich habe ihn getötet, bevor er mich erwischte. Er war ein Verbrecher, hat Röhm und Genossen auf dem Gewissen.«
»Und Hitler?«
»Den hat wahrscheinlich ein anderer erschlagen, aber der gehörte zur selben Organisation wie der Mann im See. Du solltest darüber am besten nichts wissen.«
Fleischer nickte. »Also los.« Er stand auf, nahm vom Schlüsselbrett im Flur einen Schlüssel. Das Licht im Treppenhaus schaltete er nicht an. Wir schlichen uns die Treppe hinunter zum Hinterausgang. In einer Garage im Hinterhof stand seine Mercedeslimousine. Er öffnete den Kofferraum und winkte mich heran. »Rein da.« Ich nannte ihm die Adresse des Franzosenhauses in Weißensee und kroch in den Kofferraum. Als ich darin lag, überlegte ich, wie viele Stunden meines Lebens ich am Ende in Kofferräumen verbracht haben würde. Es holperte, ich krümmte mich zusammen und schützte den Kopf mit den Armen. Fleischer wurde nicht aufgehalten. Dann bremste der Wagen, ich hörte die Tür klappen, der Kofferraum wurde geöffnet. Als ich ausgestiegen war, klopfte Fleischer mir auf die
Schulter. »Sieh zu, dass du wegkommst. Schreib mir mal eine Karte, aber unter einem anderen Namen. Sonst werde ich noch in deine Machenschaften verwickelt.«
Ich kletterte durch das offene Badezimmerfenster zurück ins Haus. Dann legte ich mich aufs Bett und nahm das Medaillon in die Hand. Langsam beruhigte ich mich. Brückner fiel mir ein, kurz bevor ich einschlief. Er hatte von etwas Wichtigem gesprochen. Was war es? Als ich aufwachte, schien mir die Sonne ins Gesicht. Irgendwo klapperte es, dann roch ich den Kaffee. Ich stand auf. In der Küche bereitete Aschbühler das Frühstück.
»Das war wohl der Schlaf der Gerechten«, sagte er.
»Guten Morgen«, erwiderte ich.
Er hatte das Berliner Tageblatt mitgebracht. »Deutschland fordert Gleichberechtigung«, Aschbühler wies auf die Schlagzeile. »Sie sagen Gleichberechtigung und meinen Revanche«, sagte er.
»Und das erstaunt Sie?«
»Nein, der Versailler Vertrag ist kein Friedensvertrag, sondern ein Kriegsgrund.«
»Schade, dass Ihre Vorgesetzten in Paris es anders sehen.«
»Warum? Ohne Versailler Vertrag wärt ihr schon längst über uns hergefallen.« Er lachte. »So seid ihr Hunnen nun mal.«
»Die Leute haben die Schnauze voll von Krieg.«
»Die Leute schon, aber nicht die Generale. Die planen spätestens seit 1923 eine neue Runde.«
»Woher wissen Sie das?«
»Woher wohl?«
»Spionage.«
»Es reicht, wenn man zwei und zwei zusammenzählen kann.« Er goss Kaffee ein. »Nehmen Sie sich.« Er zeigte auf Brötchen,
Käse und Marmelade. »Ich habe mit Selma gesprochen. Sie scheint sich zu freuen, dass Sie kommen. Was sie an Ihnen findet, ich verstehe es nicht.« Er lachte. »Da hilft auch keine Spionage.«
Nach dem Frühstück verließ mich Aschbühler mit dem Versprechen, am Abend wiederzukommen, um Einzelheiten meiner Reise nach
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