Der Consul
Straßburg zu besprechen. Ich verbrachte den Tag mit Nachdenken. Brückner wollte mir etwas sagen, etwas Wichtiges. Wie oft glaubten Leute, sie wüssten Bedeutendes, und es entpuppte sich als Schwachsinn, als Aufschneiderei, als Gerücht. Das Hirn ist ein seltsames Gebilde, es lässt Menschen die unsinnigsten Dinge glauben. Sie sind so fest überzeugt von ihren Irrtümern, dass nicht einmal Tatsachen sie belehren können. Der schlimmste Feind des Kriminalisten ist der Zeuge, hatte Engelbrecht gespottet. Aber Brückner war in Lebensgefahr, er versteckte sich und kroch aus seinem Bau, um mir etwas zu sagen. Das sprach gegen Aufschneiderei. Ich musste mich mit ihm treffen.
Sicherheitshalber schrieb ich Aschbühler einen Brief, versicherte ihm, dass ich nach Straßburg reisen würde. Am Morgen sei ich zurück. Möglicherweise würde ich Informationen erhalten, die ihn nicht weniger interessierten als mich. Wenn ich rechtzeitig zurückkam, würde ich den Brief vernichten.
*
Am Abend lief ich ein Stück, bis ich ein Taxi heranwinken konnte. Ich zog den Hut tiefer ins Gesicht und setzte mich hinter den Fahrer, damit er mich nicht erkannte. Der Mann trug eine Schiebermütze und eine verschlissene braune Cordjacke. Ich ließ mich zum Bahnhof Friedrichstraße fahren, zahlte und stieg schnell aus. Im Kiosk neben dem Bahnhof kaufte ich den Börsen-Courier und ging zu den Weinstuben Loebell. Hier hatte ich mich einmal mit Erika gestritten, wie so oft. Am Ende saß ich allein am Tisch und trank aus Wut ihren Wein mit aus.
Der Gastraum war holzvertäfelt und fast leer. Ich setzte mich an einen Ecktisch, die Tür im Auge. Die Zeitung legte ich vor mich auf den Tisch. Als eine Kellnerin im schwarzen Kleid mit weißer Schürze erschien, bestellte ich einen billigen Weißwein und Brot mit Käse. Die Kellnerin kassierte gleich, als sie die Bestellung brachte. Ich fühlte mich unwohl, die Polizei fahndete nach mir, und ich trieb mich in einer Gegend herum, in der immer Streifen unterwegs waren. Viele Schupos kannten mich, die blonden Haare waren eine schlechte Tarnung.
Die Tür ging auf, ich war bereit, mich wegzudrehen, doch es kam nur ein Pärchen herein. Sie kümmerten sich nur um sich selbst. Kurz darauf öffnete sich die Tür wieder, ein großer, schwerer Mann trat ein, den Hut in der Hand. Die Haare an den Schläfen waren gelichtet, aber mehr fiel mir auf, dass die linke Augenbraue höher lag als die rechte. Er hatte rosa Backen und eine breit auslaufende Nase. Ich hob den Börsen-Courier, als wollte ich lesen. Er steuerte meinen Tisch an.
»Sie sind Herr Friedershof?«
Ich nickte und zeigte auf einen Stuhl.
»Das ist kein guter Platz hier.«
»Mir ist in der Kürze der Zeit nichts Besseres eingefallen. Wenn wir uns beeilen, wird es gehen.«
Die Kellnerin kam, Brückner bestellte ein Glas Wasser. Die Kellnerin betrachtete ihn hochnäsig und verschwand, um bald mit dem Glas zurückzukehren. Wieder kassierte sie gleich.
»Nun, Parteigenosse Brückner«, sagte ich.
»Ich war im Elephant, als der Führer ermordet wurde.«
Ich schaute ihn scharf an. »Und das fällt Ihnen erst jetzt ein?«
»Ich möchte freies Geleit. Ich will Deutschland verlassen.«
»Warum diese Angst?« »Jemand hat es auf die Begleiter des Führers abgesehen.«
»Sie meinen, auf die Leute, die in der fraglichen Nacht mit dem Führer in Weimar waren.«
»Ja.« Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
»Aber vor mir haben Sie keine Angst.«
»Doch schon, aber ich weiß nicht weiter. Der Wahnsinn muss ein Ende haben. Meine Frau sagte, Sie hätten einen guten Eindruck gemacht. Irgend etwas muss ich riskieren, also riskiere ich es mit Ihnen.«
»Wo haben Sie sich versteckt?«
Er schüttelte den Kopf.
Ich legte die Hand auf seinen Unterarm. »Ist gut. Erzählen Sie.«
»Ich war in der Nacht vom 7. zum 8. November beim Führer.«
»Wann?«
»Es war nach eins, vielleicht schon halb zwei. So genau weiß ich das nicht mehr.«
»Also am 8. November.«
Er nickte. »Wir haben ein bisschen geredet. Er hat sich aufgeregt über Gregor Strasser, der ihn in die Regierung drängen wollte. >Vizekanzler werde ich nicht<, sagte der Führer. Er beklagte sich, selbst Goebbels würde zweifeln an ihm, das spüre er genau. Verlassen könne er sich sowieso nur auf die alten Kämpfer, die anderen seien wild auf Posten und Geld, er allein kämpfe für die nationale Wiedergeburt. Dann haben wir über den Marsch auf die Feldherrnhalle gesprochen.«
»Sie waren
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