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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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mir den Hörer.«
    Die Frau wählte, wartete, dann reichte sie mir den Hörer.
    »Hallo, wer da?« fragte jemand.
    »Reichsgericht, Dr. Voß, verbinden Sie mich mit dem Büro des Oberbürgermeisters.«
    Ein lautes Lachen war die Antwort. »Wen, den Oberbürgermeister?
    Meinen Sie den Gauleiter? Der ist leider verhindert, Standgericht. Sie kommen auch noch dran, Herr Oberreichsanwalt, keine jüdische Ungeduld!« Im Hintergrund hörte ich mehrere Männer mitlachen.
    Ich legte auf.
    Dann schaute ich wieder aus dem Fenster. Die Soldaten hatten sich in Stellung gebracht, es waren mehr Hakenkreuzfahnen zu sehen.
    Ich setzte mich in einen Sessel an der Wand, in der die Tür eingelassen war. Die Luger legte ich auf den Beistelltisch. Die Frau schaute mich an. »Seien Sie vernünftig«, sagte sie. »Gehen Sie, und wir vergessen, was geschehen ist.«
    Ich bewunderte sie, sie hatte sich im Griff.
    »Haben Sie keine Angst«, sagte ich. »Niemandem passiert etwas. Holen Sie mal die Akten Leutbold und Schmoll.«
    Sie ging zum Vorzimmer, holte einen Ordner aus dem Aktenschrank und gab ihn mir. Dann setzte sie sich hinter Voß’ Schreibtisch. Ich blätterte im Ordner, bis auf wenige Formulare kannte ich den Inhalt.
    »Überstellt in die Untersuchungshaftanstalt Leipzig«, stand auf einem Blatt.
    Ich fragte, wo die Haftanstalt sei, und sie erklärte mir den Weg. Es waren nur ein paar Minuten zu Fuß.
    Wir warteten länger als eine Stunde. Mehrfach läutete das Telefon. Die Sekretärin erledigte die Gespräche ruhig. Dann ging die Tür des Sekretariats, und schnelle, kurze Schritte waren zu vernehmen. Der Mann war klein und fett, und er trug einen schmalen Oberlippenbart. Durch eine runde Brille mit milchigen Gläsern starrte er die Sekretärin an, die von ihrem Platz hinter seinem Schreibtisch aufgesprungen war. Er wollte etwas sagen, aber dann sah er mich im Sessel und schloss den Mund wieder.
    »Sie gehen jetzt ins Vorzimmer und schließen die Tür ab«, sagte ich zu Voß. »Wenn Sie einen Fehler machen, sind Sie tot.«
    »Wer sind Sie?« Er war empört.
    Ich zeigte mit der Waffe auf ihn und stand auf. Er ging zum Vorzimmer, ich folgte ihm. Voß drehte den Schlüssel um.
    Ich streckte ihm die Hand entgegen.
    Er zog den Schlüssel ab und gab ihn mir. Seine Hände zitterten.
    »Gehen Sie dort hin!« sagte ich und zeigte zum Schreibtisch.
    Er gehorchte.
    »Nehmen Sie Platz, Herr Oberreichsanwalt. Sie werden jetzt Ihrer Sekretärin eine Anweisung an die Direktion der Untersuchungshaftanstalt diktieren. Die Untersuchungsgefangenen Leutbold und Schmoll sind unverzüglich freizulassen. Ich verstehe von diesem Juristenkram nichts, Sie werden das schon in eine geeignete Form bringen.«
    Voß gab seiner Sekretärin knappe Anweisungen. Dann ging die Sekretärin in ihr Zimmer zur Schreibmaschine. Ich stellte mich in die Türöffnung, so dass ich beide im Auge hatte. Als sie zwei Formulare ausgefertigt hatte, legte sie die Blätter Voß auf den Tisch. Voß unterschrieb. Dann schaute er mich an und fragte: »Sind Sie Kommunist? Holen Sie Ihre Genossen raus?«
    Ich ging zum Schreibtisch, nahm die Papiere, las sie und steckte sie in die Innentasche meines Jacketts.
    »Tut nichts zur Sache«, sagte ich. »Ich hole sie raus, das reicht.«
    »Aha«, sagte Voß. Ich glaubte, einen Hauch Triumph in seiner Stimme zu hören. Vielleicht dachte er, ich hielte es nicht durch. Einer allein im Reichsgericht.
    Ich rammte ihm den Lauf meiner Pistole in die Rippen. Er stöhnte. Sie mussten Angst vor mir haben, sonst war ich verloren. Außerdem war ich wütend, denn er hatte recht. Ich hatte nur wenig Chancen. Ich schaute an meinem Anzug hinunter, der vor Dreck starrte.
    »Kennen Sie hier einen, der etwa meine Figur hat?« fragte ich die Sekretärin.
    Sie blickte mich an, dann nickte sie. Sie begriff schnell, war intelligenter als ihr Chef. »Aber der ist nicht da«, sagte sie.
    Vielleicht log sie, vielleicht nicht. »Wir werden bald gemeinsam hinausgehen. Dann gibt es entweder eine wilde Schießerei oder keine. Wenn ich so aussehe, wie ich aussehe, haben wir gute Aussichten auf die Knallerei. Dabei erwischt es nicht nur mich, sondern auch Sie, denn Sie werden vor mir hergehen. Sie rufen jetzt jemanden, dessen Sachen mir passen könnten, und ich verspreche Ihnen, dass ihm nichts passieren wird. Einverstanden?«
    Sie nickte, überlegte einige Sekunden, griff zum Telefonhörer und bat einen Herrn Weiterbaum zum Oberreichsanwalt. Ihre Stimme klang bewundernswert

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