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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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nahm einen schwarzen mit Pelzkragen, der mir zu passen schien. Ich legte den Mantel über den Arm und ging zur Eingangspforte. Darin saß ein uniformierter Justizbeamter. Er hob nicht einmal den Kopf.
    Auch die Soldaten, die den Eingang bewachten und sich zum Teil hinter Sandsäcken verschanzt hatten, kümmerten sich nicht um mich. Sie kontrollierten nur Leute, die ins Gebäude hineinwollten. Es kam mir gespenstisch vor, dass das Reichsgericht seine Arbeit fortsetzte, als wäre auf den Straßen alles in schönster Ordnung. Wahrscheinlich hatte der Justizminister sich längst in Sicherheit gebracht.
    Ich eilte zum Untersuchungsgefängnis. An der Pforte legte ich den Entlassungsschein vor und hoffte, die Beamten würden nicht nach meinem Ausweis fragen. Doch die hatten andere Sorgen, man konnte ihre Angst riechen. Ich wartete im Eingangsraum und mühte mich, meine Unruhe zu verbergen. Es dauerte eine gute Viertelstunde, dann öffnete sich die Tür. Leutbold schaute mich verblüfft an. Hinter ihm trat Sofia ein. Sie war blass und schön. Ich konnte ihren Blick nicht deuten.
    »Sagen Sie nichts«, zischte ich die beiden an. Ich hatte Angst, sie könnten mich verraten. »Haben Sie alles?«
    Leutbold nickte, Sofia starrte mich an. Sie verstand nicht, was geschah.
    »Dann gehen wir. Beeilen Sie sich, die Nazis warten schon mit dem Schlachtmesser auf Sie.«
    Sie trugen je einen kleinen Koffer, Sofia auch eine Handtasche, außerdem Mäntel. Wir verließen den Eingangsraum. »Wir müssen hier schleunigst verschwinden«, sagte ich. »Bevor der Schwindel auffliegt.«
    »Was für ein Schwindel?« fragte Leutbold.
    »Das erzähle ich Ihnen später. Jetzt gilt erst mal die Regel, dass ich kein Polizist bin.«
    »Und die Entlassung ist ein Türke«, sagte Leutbold.
    Ich nickte. Wir liefen schnellen Schritts Richtung Stadtrand. Jedenfalls glaubte ich, dass wir so aus der Stadt herauskämen.
    »Warum?« fragte Sofia.
    »Später«, sagte ich.
    »Kennen Sie sich hier aus?« fragte ich Leutbold und Sofia.
    Sie schüttelten den Kopf.
    »Wir brauchen einen Wagen«, sagte ich.
    »Klar«, sagte er.
    Schüsse fielen weitab. Es war lange Zeit ruhig gewesen. Die Schüsse konnten aus der Gegend des Reichsgerichts kommen.
    »Sie sind doch in diesem M-Apparat«, sagte ich zu Leutbold. »Kennen Sie hier jemanden, der uns ein Auto leihen kann?«
    Leutbold lachte. »Nein, niemanden. Die sind bestimmt längst abgetaucht. Wir werden eins stehlen müssen.«
    Es kam nicht mehr darauf an.
    Wir zogen durch ein Wohngebiet. Die Fenster und Türen der Häuser waren verrammelt. Die Leute hatten Angst. In einer Garageneinfahrt stand ein grünes Opel-Modell 90. Eigentlich zu groß für einen Zweitwagen, der nicht mehr in die Garage
    passte. Leutbold öffnete die Toreinfahrt. Er bückte sich, hatte plötzlich einen Stein in der Hand und schlug die Scheibe der Fahrertür ein. Er griff durch die Fensteröffnung und öffnete die Tür. Dann setzte er sich auf den Fahrersitz und beugte sich unters Lenkrad. Er winkte mir mit einer Anlasserkurbel. Ich setzte sie in die Buchse in der Kühlerhaube und auf ein Zeichen Leutbolds drehte ich kräftig. Spotzend sprang der Motor an. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz, Sofia auf die Rückbank. Leutbold drehte die zerstörte Fensterscheibe hinunter, einige Glasscherben fielen auf den Fahrersitz.
    Er stieg aus und wischte mit der Hand den Sitz frei. Als er sich an einer Scherbe schnitt, fluchte er laut. Er lutschte am verletzten Finger und setzte sich hinters Steuer.
    In Markkleeberg stießen wir auf eine Streife der Reichswehr. Die Soldaten schauten müde zu uns hinüber, Leutbold winkte ihnen zu, keiner winkte zurück. Ich drehte mich um. Sofia fror im Fahrtwind. Ich quälte mich aus dem gestohlenen Mantel und reichte ihn nach hinten. Sie beugte sich vor und sagte leise: »Danke.«
    Leutbold steuerte den Wagen sicher und schnell. Wir fuhren Richtung Altenburg, Meerane, Zwickau. Die Orte an der Straße wirkten wie ausgestorben. Erst am späten Nachmittag zeigte sich Leben auf der Straße. Hin und wieder sah man Hakenkreuzfahnen und kleinere SA-Trupps. Niemand versuchte uns anzuhalten. Der Bürgerkrieg wurde in den großen Städten ausgekämpft.
    »Warum?« fragte Leutbold.
    »Ich bin für Recht und Gesetz«, erwiderte ich.
    »Wie haben Sie es geschafft, die Entlassungsscheine zu kriegen? Ich hatte den Eindruck, dieser Voß wollte uns durch den Fleischwolf drehen.«
    »Ich nicht. Auch der Oberreichsanwalt steht für Recht und

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