Der Consul
ruhig. Ich hätte mich an ihrer Stelle nicht so gut im Griff gehabt. Nachdem sie telefoniert hatte, gab ich ihr den Schlüssel, sie schloss die Tür zum Gang auf und setzte sich an ihren Schreibtisch. Ich stellte mich in das Zimmer von Voß, so dass ich sie im Blick hatte, mich aber jemand, der vom Gang eintrat, nicht sehen konnte. Kurz darauf klopfte es, und die Tür öffnete sich. »Gehen Sie gleich weiter«, sagte die Sekretärin. Der Mann kam an mir vorbei, ich trat vor und hieb ihm den Griff meiner Pistole auf den Hinterkopf. Mit einem Ächzen fiel der Mann zu Boden. Er lag auf dem Bauch, auf seinem Hinterkopf zeigte sich eine dunkle Stelle.
Die Sekretärin stürzte zu dem Mann. »Sie haben doch versprochen, ihm passiert nichts!« schrie sie.
»Schließen Sie ab!«
Sie ging zur Tür und drehte den Schlüssel um. Dann kehrte sie zurück und musterte mich wütend.
»Dem Mann ist nichts passiert. Er schläft eine Weile, dann wacht er mit Kopfschmerzen auf.«
Sie schnaufte.
Ich richtete den Lauf meiner Pistole auf sie. »Ziehen Sie den Mann aus.«
Jemand rüttelte an der Tür zum Gang. Ich hielt den Zeigefinger an die Lippen und deutete auf meine Pistole.
Die Sekretärin fing an, den Mann auszuziehen. Er trug einen dreiteiligen dunkelgrauen Anzug guter Qualität.
»Hemd und Fliege auch.«
Die Sekretärin schickte mir einen missbilligenden Blick.
Ich wandte mich an Voß. »Nun helfen Sie ihr doch!«
Voß öffnete den Mund, schloss ihn wieder und stand auf. Der Widerwillen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Gemeinsam entkleideten sie den Mann.
Die Sekretärin hatte recht gehabt. Anzug und Hemd saßen gut. Ich durchsuchte meine Anzugjacke und meinen Mantel, um nichts zurückzulassen, was mich verraten könnte. Ich riss die Etiketten aus Jackett und Hemd. Mit meinem Jackett putzte ich mir die Schuhe. Die Aktentasche des Oberreichsanwalts lehnte am Schreibtisch. Ich öffnete sie und kippte den Inhalt auf den Boden. Dann stopfte ich Anzug und Hemd hinein.
Plötzlich witterte ich Gefahr. Ich überlegte, dann wies ich die Sekretärin an: »Holen Sie mir drei Entlassungsscheine!«
Sie sah mich verwirrt an.
Ich wiederholte die Anweisung ungeduldig.
Sie holte die Scheine, es waren Durchschlagformulare. Ich zog die Scheine, die Voß vor wenigen Minuten diktiert hatte, aus der Tasche und legte sie neben die Durchschläge. Sie stimmten in Form und Inhalt überein.
Neue Zweifel wuchsen. Ich schmiss meinen Plan über den Haufen. Es wäre Wahnsinn, mit zwei Geiseln zum Untersuchungsgefängnis zu gehen.
»Sie haben bestimmt Paketschnur im Büro?«
Die Sekretärin nickte.
Ich befahl ihr, die Schnur zu holen und Voß zu fesseln. »Aber fest! Wehe, ich finde das zu locker.«
»Entschuldigung, Herr Doktor«, sagte sie, als sie ihm die Hände auf den Rücken band. Er ächzte.
»Legen Sie sich auf den Bauch«, befahl ich. Voß legte sich auf den Bauch. Er schnaufte vor Wut, vielleicht auch vor Erleichterung, weil er ahnte, was ich vorhatte.
Die Sekretärin fesselte ihm die Füße.
»Und jetzt den anderen Herrn!«
Sie tat es.
Anschließend befahl ich ihr, sich ebenfalls auf den Bauch zu legen, am anderen Ende des Zimmers, neben einem hohen Aktenschrank. Ich fesselte sie und befestigte die Schnur am Fuß des Schranks. Sie stöhnte, es tat ihr weh. Ich hatte keine Wahl. Ich ging zu Voß, prüfte die Fesselung und verknotete die Schnur noch mehrfach, bevor ich sie am Heizungskörper festband. Im Garderobenschrank im Vorzimmer fand ich zwei Mäntel. Ich nahm den von Voß und schnitt mit einer Schere drei Streifen aus dem Stoff. Damit knebelte ich die Gefangenen. Wenn ich Glück hatte, würden ein paar Stunden vergehen, bis jemand auf sie aufmerksam wurde. Unwahrscheinlich, dass sie sich bald befreien konnten.
Ich blickte aus dem Fenster. Nazis und Reichswehr standen sich gegenüber. Ein Reichswehroffizier sprach zwischen den Fronten mit einem SA-Mann.
Ich ballte die rechte Hand zur Faust und rief: »Rot Front!«
Dann nahm ich die Aktentasche und verließ das Zimmer, schaute mich auf dem Gang um, sah niemanden und schloss das Büro des Oberreichsanwalts von außen ab. Den Schlüssel steckte ich in die Jackettasche.
Ich stieg die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und zwang mich, nicht zu rennen. Ich kam an einem Verhandlungssaal vorbei. An der Garderobe im Flur hingen Mäntel. Ich tat so, also würde ich den Aushang neben dem Eingang studieren. Als ich sicher war, dass niemand im Flur war, musterte ich die Mäntel und
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