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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Sie den oder die Täter finden. Ich tippe mal, ein kommunistischer Kellner oder so was. Vielleicht auch eine Verschwörung der Kommune. Oder ein durchgeknallter Anarchist. Aber ich will Ihnen da nicht hineinreden.«
    »Wer soll es sonst sein, wenn nicht einer von der Kommune?« fragte Rickmer.
    Melcher schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch, ein ausladendes Monstrum aus dunkel gebeiztem Eichenholz. Dann stand er auf. »Meine Herren, gute Reise!«
    *
    Rickmer lief zielstrebig zum Aufzug. Er war kleiner als ich, schlank und hatte einen geschmeidigen Gang. Ich wollte ihm meine Platzangst nicht eingestehen und hoffte, der Schweiß trat mir nicht auf die Stirn. Der Fuß schmerzte, er fühlte sich geschwollen an. War noch ein Splitter drin? Ich quälte mich in den Aufzug.
    »Warm hier drin«, sagte Rickmer und schaute auf meine Stirn. Er verzog sein Knabengesicht, vielleicht wollte er Mitleid zeigen.
    Ich nickte.
    Am Haupteingang stand Wohlfeld. »Ich habe schon vollgetankt und zwei Kanister in den Kofferraum gepackt. Da brauchen wir unterwegs nicht zu tanken.« Er klang fröhlich, als wäre es ihm ein Vergnügen, mitten in der Nacht seinen Chef aus dem Bett zu trommeln und im anbrechenden Morgen stundenlang durch die Landschaft zu fahren.
    Gestern früh hatte ich im Radio von der Wahlniederlage der Hitlerpartei gehört. Heute war Hitler tot. Da hatte er zweimal Pech gehabt. Es war der 8. November 1932, ein kalter und nasser Tag kündigte sich an.
     

II.
    D er Oberleutnant saß auf dem Beifahrersitz, ich im Fond. Graue Soße löste die Nacht ab. Die Reifen des Wagens zischten auf der nassen Straße. Bis Beelitz fiel kein Wort, dann drehte sich Rickmer zu mir um und sagte: »Ich dachte, der Staat ist pleite.« Er klopfte auf die Rückenlehne des Fahrersitzes. »Wir kutschieren in alten Hanomags durch die Gegend und die Polizei in solchen Luxusschlitten.«
    »Den Wagen verdanken wir den Sklareks«, erwiderte ich.
    »Die beiden Brüder, die fast den gesamten Berliner Magistrat geschmiert haben?«
    »Genau.«
    »Und warum wird der Wagen nicht verkauft?«
    »Vielleicht wird er es noch, aber zur Zeit kriegt man nichts für gebrauchte Luxuskarossen. Da ist es besser, wir benutzen sie. Normalerweise fahren wir mit unserem Mordauto zu Tatorten, immerhin ein Maybach Zeppelin.«
    Rickmer drehte sich wieder um. Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Sie haben ja keinen schönen Beruf.«
    »Weil ich so früh rausmusste?«
    »Nein, das müssen wir auch oft. Waren Sie im Krieg?«
    Ich nickte.
    »Wegen der Leichen. Ich war auch im Krieg und habe mich nicht daran gewöhnt.«
    Komischer Offizier, dachte ich. Dann fiel mir ein, dass Rickmer damals kaum schon Offizier gewesen sein konnte.
    War ich gewöhnt an Leichen? Ja und nein. Mir wurde nicht schlecht, wenn ich einen Toten sah. Aber ich fror innerlich. Und die Teilnahme an Leichenöffnungen würde nie zu meinen Lieblingsübungen zählen.
    »Und was machen Sie, wenn Sie sich nicht mit Herrn Hitlers sterblichen Überresten beschäftigen?«
    Rickmer grinste leicht. »Ich bin so eine Art Mädchen für alles für unseren General Schleicher, z. b. V. Ich treibe mich recht selten im Busch herum.«
    »Ihr Herr General soll ja so was wie der heimliche Herrscher der traurigen Reste des Deutschen Reichs sein, wenn man den Zeitungen glauben darf.«
    Rickmer lachte. »Es gibt kein Volk auf der Welt, das Verschwörungstheorien so liebt wie wir Deutschen. Sagen wir es mal so: Die Reichswehr verhindert Putsche, ob rot, ob braun. Wir dürfen uns nicht gegenseitig totschießen, wenn wir Versailles loswerden wollen. Und das wollen doch alle, sogar die Erfüllungsexperten von der SPD.«
    Als ich über diese Äußerung nachdachte, fielen mir Argumente ein, die mir die Reichswehr nicht mehr so überparteilich vorkommen ließen. Aber ich sagte nichts. Ich glaubte zu begreifen, warum Rickmer mit nach Weimar fuhr. Und doch fühlte ich mich bespitzelt. Er schien ein passabler Bursche zu sein, mimte nicht den Überlegenen, der Zivilisten für Deppen hielt. Immer wenn ich an die Reichswehr dachte, Deutschlands Hunderttausendmannarmee, dann fiel mir der dürre, hochnäsige Seeckt ein, der diese Truppe zu einer Art Orden gemacht hatte, über den er monokelblitzend wachte, bis ihn vor ein paar Jahren seine Eigenmächtigkeit den Chefposten gekostet hatte. Rickmer stammte offenbar nicht aus der Seeckt-Schule, jedenfalls hatte er nicht dessen bedeutungsschwangere Schweigsamkeit geerbt.
    Als wir den

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