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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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noch gelten, nicht jenem Schurken dort!
    – O bleibe vor mir stehen! Laß mich Dein geliebtes Angesicht noch sehen! Mögen sich meine Augen mit diesem letzten Bilde schließen! …«
    Die alte Sibirierin schritt ohne ein Wort auf ihn zu.
    »Fort mit diesem Weibe!« befahl Iwan Ogareff.
    Zwei Soldaten suchten Marfa Strogoff fortzureißen. Sie wich zurück, blieb aber wenige Schritte vor ihrem Sohne stehen.
    Der Henker erschien. Jetzt trug er wieder den bloßen Säbel in der Hand, aber dieser leuchtete in heller Weißgluth, wie er ihn aus dem Becken mit wohlriechenden Kohlen gezogen hatte.
    Michael Strogoff sollte nach der gewöhnlichen Sitte der Tartaren geblendet werden, indem man eine weißglühende Klinge dicht vor seinen Augen vorbeiführte.
    Michael Strogoff leistete keinen Widerstand. Für seinen Blick war nichts vorhanden als seine Mutter, die er mit den Augen zu verzehren suchte! All’ sein Leben drängte sich in diesem letzten Liebesblick zusammen!
    Mit weit geöffneten Augen, die Arme nach ihm ausbreitend, sah Marfa Strogoff ihn an …
    Die glühende Klinge streifte die Augen Michael Strogoff’s.
    Ein Schrei der Verzweiflung. Leblos sank die alte Marfa zu Boden.
    Michael Strogoff war blind.
    Nach Ausführung seines Befehls zog sich der Emir mit seinem ganzen Hofe zurück. Bald waren nur noch Iwan Ogareff und die Fackelträger auf dem Platze.
    Iwan Ogareff zog das kaiserliche Schreiben aus der Tasche, öffnete es und hielt dasselbe in grausamem Spott dem Courier des Czaren vor die Augen.
    »Lies doch nun, Michael Strogoff, lies, und gehe nach Irkutsk, zu melden, was Du gesehen hast! Der wahrhafte Courier des Czaren, das bin ich, das ist Iwan Ogareff!« Mit diesen Worten verbarg der Verräther den Brief wieder an seiner Brust. Dann verließ er, ohne sich umzuwenden, den Platz, und lautlos folgten ihm die Fackelträger.
    Michael Strogoff war allein, wenig Schritte von seiner Mutter, welche noch leblos, vielleicht wirklich todt, auf der Erde lag.
    In der Ferne hörte man das Schreien und Singen, das Lärmen der Orgie. Festlich erleuchtet prangte die unglückliche Stadt.
    Michael Strogoff lauschte; der Platz schien ihm still und verlassen.
    Tastend suchte er die Stelle zu erreichen, auf der seine Mutter niedersank. Seine Hand fand sie, er neigte sich über sie, er legte sein Antlitz auf das ihre, er hörte die Schläge ihres Herzens. Dann schien es, als flüsterte er ihr einige Worte zu.
    Lebte die alte Marfa noch, und hörte sie, was ihr Sohn zu ihr sagte?
    Jedenfalls machte sie nicht die geringste Bewegung.
    Michael Strogoff küßte ihr die Stirn und das weiße Haar. Dann erhob er sich, tastete mit den Füßen, suchte seine Hand auszustrecken, um den Weg zu finden, und schritt langsam nach dem Ende des Platzes.
    Plötzlich erschien Nadia.
    Sie ging gerade auf ihren Gefährten zu. Ein Dolch, den sie bei sich trug, diente ihr, die Fesseln zu durchschneiden, welche Michael Strogoff’s Arme drückten.
    Bei seiner Blindheit wußte dieser nicht, wer ihn befreite, denn Nadia hatte noch kein Wort gesprochen.
    Nachher erst flüsterte sie:
    »Bruder, mein Bruder!
    – Nadia, erwiderte Michael Strogoff, Du, Nadia!
    – Komm, Bruder! antwortete sie. Meine Augen werden nun die Deinigen sein, ich werde Dich nach Irkutsk führen!«
     

    Michael Strogoff war blind. (S. 278.)
Sechstes Capitel.
Ein Freund unterwegs.
    Nach Verlauf einer halben Stunde hatten Michael Strogoff und Nadia Tomsk verlassen.
     

    »Du bist hier, Nadia?« fragte er. (S. 283.)
     
    Ueberhaupt gelang es im Laufe dieser Nacht einer ganzen Anzahl Gefangenen zu entweichen, da Soldaten und Officiere im Taumel der wilden Festlichkeiten die bisher gewohnte strenge Ueberwachung jenes Menschenknäuels vernachlässigten. Nadia vermochte also, nachdem man sie erst mit den anderen Gefangenen weggeführt hatte, zu entfliehen und nach dem Plateau zurückzukehren, gerade als Michael Strogoff vor den Emir geschleppt wurde.
    Unter der Zuschauermenge verloren, hatte sie Alles mit angesehen. Nicht ein Schrei entfuhr ihr, als die weißglühende Säbelklinge die Augen ihres Begleiters streifte. Sie erzwang sich die Kraft, unbeweglich und lautlos zu verharren. Eine providentielle Ahnung gab ihr den Rath ein, sich zurück zu halten, um ihre Freiheit zu sichern und den Sohn Marfa Strogoff’s nach dem Ziele zu geleiten, das er zu erreichen geschworen hatte Einen Augenblick wohl stand das Herz ihr still, als sie die alte Sibirierin ohnmächtig niedersinken sah, aber ein

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