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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Eile gesammeltes russisches Corps war aus dem Gouvernement Jeniselsk auf Tomsk gezogen, um diese Stadt womöglich wieder zu erobern. Freilich erwies es sich der Heeresmacht Feofar-Khan’s gegenüber noch zu schwach und hatte sich wieder zurückziehen müssen. Nach Vereinigung seiner eigenen Truppen mit den Soldaten der Khanate von Khokhand und Kunduz verfügte Feofar-Khan über eine Gesammtzahl von 250,000 Mann, denen die russische Regierung noch keine hinreichende Truppenmacht entgegen zu stellen vermochte. So frühzeitig die Invasion zu ersticken, schien nicht ausführbar, und jedenfalls konnten die Tartarenhausen versuchen, nach Irkutsk aufzubrechen.
    Am 22. August kam es zu jenem Treffen bei Tomsk, von dem Michael Strogoff zunächst nichts wußte, das aber hinreichend erklärt, warum der Vortrab des Emirs Krasnojarsk noch am 25. unbelästigt gelassen hatte.
    Kannte Michael Strogoff auch die jüngsten Ereignisse nicht, so wußte er doch das Eine, daß er den Tartaren um mehrere Tage voraus war und nicht daran zu verzweifeln brauchte, Irkutsk vor ihnen zu erreichen. Die Hauptstadt Ostsibiriens lag jetzt noch 850 Werft (= 900 Kilometer) von ihm entfernt.
    Er rechnete übrigens darauf, daß es ihm in Krasnojarsk, einer Stadt von etwa 12,000 Seelen, an Transportmitteln nicht fehlen könne. Da Nikolaus Pigassof in dieser Stadt bleiben wollte, machte sich die Beschaffung eines Führers und eines anderen schnelleren Fuhrwerkes nöthig. Michael Strogoff hoffte, es werde ihm, wenn er sich an den Gouverneur der Stadt wendete, seine Identität und seine Eigenschaft als Courier des Czaren nachwies, – was ihm nicht schwer fallen konnte, – gewiß gelingen, mit dessen Hilfe Irkutsk in kürzester Zeit zu erreichen. Er hatte dann dem wackeren Nikolaus Pigassos nur noch seinen herzlichen Dank abzustatten und unverzüglich mit Nadia abzureisen, denn diese wollte er nicht eher verlassen, als bis er sie den Händen ihres Vaters übergeben hätte.
    Nikolaus’ Entschluß, in Krasnojarsk zu bleiben, galt freilich nur »unter der Bedingung, dort Verwendung zu finden«.
    Dieses Muster eines Beamten strebte nur darnach, sich, nachdem er seinen Posten in Kolyvan bis zum letzten Augenblick behauptet, der Telegraphen-Verwaltung sofort wieder zur Verfügung zu stellen.
    »Wie könnte ich einen Gehalt angreifen, den ich nicht verdient hätte?« wiederholte er mehrfach.
    Für den Fall, daß man seiner Dienste auch in Krasnojarsk nicht benöthigte, wollte er, da letztere Stadt mit Irkutsk noch immer in telegraphischer Verbindung stehen mußte, sich entweder nach Udinsk, oder auch nach der Hauptstadt Sibiriens begeben. Dann setzte er aber seine Reise mit dem Bruder und der Schwester fort, und wo hätten diese einen sicherern Führer, einen ergebeneren Freund finden können?
    Die Kibitka befand sich jetzt nur noch eine halbe Werft von Krasnojarsk. Rechts und links bemerkte man jene zahlreichen Kreuze, wie sie sich hier an den Straßen in der Nähe der Stadt finden. Es war um sieben Uhr des Abends. An dem klaren Himmel zeichneten sich die Silhouetten der Kirchen und die Profile der an dem steilen Abhange des Jeniseï erbauten Häuser ab. Das Wasser des Flusses erglänzte in den letzten Lichtstrahlen der Atmosphäre.
    Die Kibitka hielt an.
     

    Das Wasser des Flusses erglänzte in den letzten Lichtstrahlen. (S. 295.)
     
    »Wo sind wir, Schwester? fragte Michael Strogoff.
    – Eine halbe Werst von den ersten Häusern der Stadt, belehrte ihn Nadia.
    – Ist die ganze Stadt eingeschlafen? fuhr Michael Strogoff fort. Kein Laut dringt zu meinen Ohren.
    – Und ich sehe auch kein Licht erglänzen, keinen Rauch in die Luft emporsteigen, fügte Nadia hinzu.
    – Eine eigenthümliche Stadt! sagte Nikolaus. Hier macht man keinen Lärm und legt sich sehr zeitig nieder!«
    In Michael Strogoff stieg eine böse Ahnung auf. Er hatte Nadia noch nicht mitgetheilt, welche Hoffnung er auf Krasnojarsk setzte, wo er die Mittel zur sicheren Fortsetzung ihrer Reise zu erlangen glaubte. Jetzt fürchtete er, seine Hoffnung werde noch einmal getäuscht werden. Aber Nadia hatte seine Gedanken errathen, obgleich sie nicht begriff, warum ihr Gefährte jetzt, nach Verlust des kaiserlichen Handschreibens, so sehr eilte, nach Irkutsk zu kommen. Eines Tages hatte sie mit Bezug hierauf auch einige Worte fallen lassen.
    »Ich habe geschworen, nach Irkutsk zu gehen!« Darauf beschränkte sich seine ganze Antwort.
    Um jedoch den Zweck seiner Sendung zu erfüllen, mußte er in

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