Der Courier des Czar
ablegte. Dann hätte man beobachten können, daß Michael Strogoff die Zügel des Pferdes zu erlangen und dieses in schnelleren Gang zu bringen suchte, zum größten Erstaunen Serskos, der das indeß schweigend geschehen ließ. Unwiderruflich verlangsamte sich dieser Trab aber sofort wieder zu dem alten Paßgang, sobald Nikolaus erwachte; nichtsdestoweniger hatte die Kibitka einige Werft über die reglementmäßige Geschwindigkeit gewonnen.
So kreuzte man den Ischimsk-Strom, durchzog die Flecken Ischimskoë, Berikylskoë, Kuskoe, den Mariinsk-Fluß, die gleichnamige Ortschaft, Bogostowskoë und kam endlich über den Tschula, einen unbedeutenderen Wasserlauf, der Westsibirien von Ostsibirien scheidet. Die Straße durchschnitt hier bald ungeheure Haiden, welche einen ausgedehnten Ueberblick gestatteten, bald dichte Tannenwälder, die gar kein Ende zu nehmen schienen.
Alles war öde; die Wohnstätten der Menschen fast ausnahmlos verlassen. Die Landleute flüchteten sich über den Jeniseï, in der Meinung, daß dieser breite Strom den Tartaren Halt gebieten werde.
Am 22. August erreichte die Kibitka den Flecken Atschinsk, 380 Werst von Tomsk. Hundertzwanzig Werst trennten sie nun noch von Krasnojarsk. Kein Zwischenfall hatte die Fahrt gestört. Seit sechs Tagen vereinigt, waren Nikolaus, Michael Strogoff und Nadia die nämlichen geblieben, jener bezüglich seiner unerschütterlichen Ruhe, diese unruhig und besorgt wegen der Stunde, in der sich ihr Gefährte von ihnen trennen würde.
Michael Strogoff sah wirklich die durchfahrenen Landstrecken durch die Augen Nikolaus und des jungen Mädchens. Abwechselnd beschrieben ihm Beide die Gegenden, durch welche die Kibitka fuhr. Er wußte, ob in der Umgebung ein Wald oder eine offene Ebene sei, ob sich ein verlorenes Häuschen in der Steppe oder ein Sibirier in der Ferne zeigte. Nikolaus Zunge stand selten still. Er liebte es, zu plaudern, und bei seiner eigenen Anschauungsweise der Dinge hörte man ihm gern zu.
Eines Tages fragte ihn Michael Strogoff, wie die Witterung sei.
»O, recht schön, Väterchen, antwortete er, aber wir haben nun auch die letzten angenehmen Sommertage. Der Herbst ist in Sibirien kurz und bald genug werden sich die ersten Winterfröste melden. Vielleicht beschließen die Tartaren, während der schlechten Jahreszeit Cantonnements zu beziehen?«
Ungläubig schüttelte Michael Strogoff den Kopf.
»Du glaubst es nicht, Väterchen, bemerkte Nikolaus. Du denkst, sie werden bis Irkutsk vordringen?
– Ich fürchte es, erwiderte Michael Strogoff.
– Ja … Du kannst Recht haben. Sie haben da einen Schurken bei sich, der ihren Kriegseifer nicht auf halbem Wege erkalten lassen wird. – Hast Du von Iwan Ogareff gehört?
– Gewiß.
– Weißt Du, daß es sehr schlecht ist, sein Vaterland zu verrathen?
– Ja, das ist es … antwortete Michael Strogoff, der seine Ruhe mühsam zu bewahren suchte.
– Väterchen, versetzte Nikolaus, mir scheint, es empört Dich gar nicht so sehr, von Iwan Ogareff sprechen zu hören. Jedes russische Herz zittert doch sonst vor Wuth, wenn man diesen Namen ausspricht.
– Glaube mir, Freund, ich hasse ihn mehr, als Du ihn jemals hassen könntest.
– Das ist unmöglich, erklärte Nikolaus; nein, das ist nicht möglich! Wenn ich an Iwan Ogareff denke, an das Böse, das er unserem heiligen Rußland zugefügt hat, so übermannt mich der Zorn, und wenn ich ihn unter den Händen hätte …
– Nun, wenn Du ihn hättest, Freund?
– Ich glaube, ich würde ihn umbringen.
– Und ich, ich weiß das gewiß«, erklärte ruhig Michael Strogoff.
Siebentes Capitel.
Die Ueberschreitung der Jeniseï.
Am 25. August kam die Kibitka mit sinkendem Tage in Sicht von Krasnojarsk an. Die Reise von Tomsk bis hierher hatte acht Tage in Anspruch genommen. Wenn sie trotz aller Bemühungen Michael Strogoff’s nicht schneller vor sich ging, kam das daher, daß Nikolaus nur sehr wenig schlief. Daraus ergab sich die Unmöglichkeit, die Gangart seines Pferdes zu beschleunigen, das unter anderen Händen nur sechzig Stunden zu dieser Strecke gebraucht hätte.
Zum Glück war von den Tartaren noch gar nichts zu spüren. Kein Plänkler ließ sich bis jetzt auf der von der Kibitka verfolgten Straße sehen. Es erschien das ganz unbegreiflich, und offenbar mußte ein sehr gewichtiger Umstand die Truppen des Emirs verhindert haben, ohne Verzug nach Irkutsk zu weiter zu marschiren.
In der That war ein solches Hinderniß eingetreten. Ein neues in aller
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