Der Courier des Czar
Krasnojarsk noch ein schnelles Beförderungsmittel finden.
»Nun, Freund, wandte er sich an Nikolaus, weshalb fahren wir nicht weiter.
– Ich befürchte, die Bewohner der Stadt durch das Geräusch unseres Wagens aus dem Schlafe zu stören.«
Durch einen leichten Streich mit der Peitsche setzte Nikolaus sein Pferd wieder in Bewegung. Sersko schlug einige Male an und die Kibitka rollte mäßig schnell die Straße hinab, die nach Krasnojarsk hinein führte.
Zehn Minuten später befand sie sich in der Hauptstraße.
Auch Krasnojarsk war verlassen! Kein Athener belebte »das nordische Athen«, wie Frau von Bourboulon die Stadt genannt hat. Keine jener so prächtig bespannten Equipagen rollte durch die breiten, reinlichen Straßen. Kein Fußgänger wandelte auf den Trottoirs der schönen, in monumentalem Style erbauten Holzhäuser. Keine elegante, nach neuester Pariser Mode gekleidete Sibirierin promenirte in jenem herrlichen Parke, der, in einem Birkenwalde angelegt, sich bis an das Ufer des Jeniseï fortsetzte. Die große Glocke der Kathedrale schwieg, die Glockenspiele der Kirchen blieben stumm, während sonst nur selten der Gesang derselben in den russischen Städten nicht ertönt. Doch hier war Alles erstorben. Kein lebendes Wesen athmete mehr in der sonst so verkehrsreichen Stadt!
Das letzte Telegramm aus dem Cabinet des Czaren vor Unterbrechung der telegraphischen Verbindung befahl dem Gouverneur, der Garnison, den Einwohnern allen, Krasnojarsk zu verlassen, jeden werthvollen Gegenstand und Alles, was den Tartaren hätte von Nutzen sein können, wegzuschaffen und nach Irkutsk zu flüchten. Dieselbe Verordnung traf die Einwohner aller kleineren Ortschaften der Provinz. Die russische Regierung suchte vor den Schritten der Feinde eine Wüste herzustellen. Solche eines Rostopschin würdige Befehle wurden nicht einen Augenblick lang kritisirt. Man kam ihnen einfach nach, und deshalb blieb auch kein lebendes Wesen in Krasnojarsk zurück.
Michael Strogoff, Nadia und Nikolaus durchwanderten schweigend die Straßen der Stadt. Sie selbst verursachten das einzige Geräusch, das in dieser todten Stadt ertönte. Von den Empfindungen, die ihn marterten, ließ Michael Strogoff zwar äußerlich nichts merken, aber es kochte doch manchmal auf in ihm über das unersättliche Mißgeschick, welches ihn verfolgte und seine Hoffnungen noch einmal so bitter täuschte.
»Großer Gott, jammerte Nikolaus, in dieser Wüstenei werde ich meinen Gehalt nimmer ehrlich verdienen können.
– Guter Freund, redete ihm Nadia zu, Sie werden mit uns den Weg nach Irkutsk einschlagen müssen.
– Freilich muß ich das! antwortete Nikolaus. Zwischen Udinsk und Irkutsk muß die Leitung noch im Stande sein und da … Wollen wir weiter, Väterchen?
– Warten wir bis morgen, erwiderte Michael Strogoff.
– Du hast Recht, bestätigte Nikolaus. Wir müssen den Jeniseï passiren und dazu sehen können.
– Sehen können!« murmelte Nadia mit einem Gedanken an ihren blinden Gefährten.
Nikolaus hatte doch ihre Bemerkung gehört und wendete sich an Michael Strogoff.
»Verzeihe, Väterchen, sagte er. Ach, Nacht und Tag, das ist für Dich ja gleichgiltig!
– Mache Dir keine Vorwürfe, Freund, beruhigte ihn Michael Strogoff und strich dabei mit der Hand über seine Augen. Mit Dir als Führer kann ich auch noch etwas nützen. Ruhe jetzt einige Stunden aus. Auch Nadia mag sich durch den Schlummer stärken. Morgen wird es ja wieder Tag.«
Michael Strogoff, Nadia und Nikolaus hatten nicht lange zu suchen, um eine Ruhestätte zu finden. Das erste Haus, dessen Thüre sie öffneten, war ja ebenso leer, wie alle die anderen. Nur einige Haufen Laubwerk fanden sich darin vor. In Ermangelung besseren Futters mußte das Pferd sich mit diesem begnügen. Von dem noch nicht erschöpften Proviant aus der Kibitka erhielt jeder seinen Theil. Nachdem sie dann vor einem bescheidenen, an der Wand hängenden Bilde der Panaghia, welches das letzte Flämmchen einer Lampe beleuchtete, ihre Knie gebeugt, schliefen Nikolaus und das junge Mädchen bald ein, während Michael Strogoff, den der Schlaf noch floh, neben ihnen wachte.
Am folgenden Tage, dem 26. August, fuhr die wieder angeschirrte Kibitka durch den Birkenpark nach dem Ufer des Jeniseï.
Michael Strogoff war sehr besorgt. Auf welche Weise sollte der Fluß überschritten werden, wenn man, wie anzunehmen war, alle Boote und Fähren zerstört hatte, um das Vordringen der Tartaren zu verzögern? Er kannte den
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