Der Courier des Czar
nicht sehen konnte, war es ihm auch unmöglich, sich irgendwie zu vertheidigen. Hätte er seine Augen gebrauchen können, er würde es wohl versucht haben, obwohl das nur zu einem schrecklichen Blutvergießen geführt hätte. Doch wenn er nichts sah, so konnte er doch hören und verstehen, was Jene sagten.
An ihrer Sprache erkannte er, daß diese Soldaten Tartaren waren, und an ihren Worten, daß sie der Armee der Feinde vorausschwärmten.
Aus den kurzen Reden, welche Jene jetzt führten, und aus einigen Brocken ihrer späteren Unterhaltung erfuhr Michael Strogoff Folgendes:
Diese Soldaten standen nicht unter dem directen Befehl des Emirs, der noch immer hinter dem Jeniseï zurückgehalten war. Sie bildeten eine Abtheilung eine dritten Colonne, zusammengesetzt aus Tartaren der Khanate von Khokhand und Kunduz, mit welcher sich die Armee Feofar-Khan’s nächstens in der Nähe von Irkutsk zu vereinigen gedachte.
Auf Iwan Ogareff’s Rath hatte sich diese Abtheilung, um den Erfolg des Einfalls in die östlichen Provinzen zu sichern, nach Ueberschreitung der Grenze des Gouvernements Semipalatinsk längs der Südküste des Balkhachsee’s und dem Fuße des Altaïgebirges hingeschlichen. Geführt von einem Officier des Khans von Kunduz, erreichte sie sengend und brennend den oberen Lauf des Jeniseï. Dort hatte der Officier in Voraussicht der durch den Czaren getroffenen Maßregeln zur Erleichterung des Uebergangs der Armee des Emirs eine ganze Flotille von Barken angesammelt, welche entweder als solche oder als Brückenmaterial dienen sollten. Nach Umgehung des Gebirges war diese dritte Abtheilung dann im Thale des Jeniseï herabgezogen und hatte die Straße nach Irkutsk erst in der Nähe von Alsalewsk wieder betreten. Hieraus erklärte sich die Anhäufung von Ruinen jenseit dieser Stadt, das unzweifelhafte Merkmal der Kriegführung dieser Horden. Nishny-Udinsk versiel eben demselben Schicksal, und die Tartaren, in einer Gesammtstärke von 50,000 Mann, hatten es schon verlassen, um sich einiger wichtiger Stellungen vor Irkutsk zu bemächtigen. In kurzer Zeit sollten sie mit den Truppen des Emirs zusammentreffen.
So lagen die Dinge zu jener Zeit, – gewiß eine gefährliche Lage für den vollständig isolirten Theil des östlichen Sibiriens und für die verhältnißmäßig wenigen Vertheidiger seiner Hauptstadt.
Michael Strogoff erfuhr also von der Ankunft einer dritten Colonne der Tartaren vor Irkutsk, sowie von der bevorstehenden Vereinigung des Emirs und Iwan Ogareff’s mit der Hauptmacht ihrer Truppen. Ein Angriff auf Irkutsk und die Eroberung der Stadt erschien hiernach nur noch als eine Frage der Zeit.
Welche Gedanken bestürmten hierbei Michael Strogoff! Wer würde erstaunen, wenn er in dieser Lage endlich allen Muth, alle Hoffnung verlor? Und doch war das nicht der Fall, denn seine Lippen murmelten immer und immer wieder die Worte:
»Ich werde dennoch ankommen!«
Eine halbe Stunde nach jenem Ueberfall durch die Reiter betraten Michael Strogoff, Nikolaus und Nadia Nishny-Udinsk. In einiger Entfernung folgte der treue Hund ihnen nach. In dieser ringsum brennenden Stadt, welche eben die letzten Marodeure verließen, sollten sie nicht bleiben.
Die Gefangenen wurden auf Pferde geworfen und eiligst weiter geschleppt. Nikolaus verhielt sich resignirt, wie immer, Nadia unerschüttert in ihrem Glauben an Michael Strogoff, und dieser zwar äußerst gleichgiltig, aber immer bereit, zu entfliehen, sobald sich eine Gelegenheit böte.
Den Tartaren entging es keineswegs, daß einer ihrer Gefangenen blind war, und ihre natürliche Rohheit benutzte diesen Umstand, um mit dem armen Unglücklichen noch ihr Spiel zu treiben. Man ritt in schnellem Schritte. Michael Strogoff’s Pferd, das nur von ihm geleitet wurde, machte öfters Seitensprünge, welche den Zug in Unordnung setzten. Dann regnete es Injurien und Rohheiten, die das Herz des jungen Mädchens brachen und Nikolaus empörten. Aber was vermochten sie dagegen? Die Sprache der Tartaren war ihnen nicht geläufig und ihr Dazwischentreten wurde barsch zurückgewiesen.
Um ihrer Bosheit die Krone aufzusetzen, kamen die Soldaten auf den Gedanken, Michael Strogoff’s Pferd zu wechseln und ihm auch noch ein blindes Thier zu geben. Die Ursache hierzu gab die Vermuthung eines der Reiter, den Michael Strogoff sagen hörte:
»Vielleicht kann der verdammte Russe da aber doch sehen!«
Dieses geschah etwa sechzig Werft von Nishny-Udinsk, zwischen den Dörfern Tatan und
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