Der Courier des Czar
Chibarlinskoë. Michael Strogoff wurde also auf dieses Pferd gesetzt, dessen Zügel man ihm in die Hand gab. Dann trieb man es durch Peitschenschläge, Steinwürfe und lautes Schreien in Galop.
Das blinde Pferde stieß, da es von seinem ebenfalls blinden Reiter nicht in gerader Richtung erhalten werden konnte, einmal gegen einen Baum, das andere Mal kam es ganz vom Wege ab. Dann jagten sie es mit Hieben und Stößen wieder zurück.
Michael Strogoff widersprach nicht. Er ließ keine Klage hören. Stürzte sein Pferd, so wartete er, bis man es wieder auf die Füße brachte. Das geschah dann auch, und das grausame Spiel begann von Neuem.
Bei dieser wahrhaft unmenschlichen Behandlung konnte Nikolaus sich nicht niehr zurückhalten. Er wollte seinem Begleiter zu Hilfe eilen. Man hielt ihn zurück und mißhandelte ihn.
Gewiß hätte dieses Spiel noch lange Zeit zum größten Ergötzen der Tartaren fortgedauert, als ihm ein ernster Zwischenfall ein Ende machte.
Im Laufe des 10. September brach das blinde Pferd auch wieder aus und lief geraden Wegs auf eine etwa vierzig Fuß tiefe Schlucht neben der Straße zu.
Nikolaus wollte ihm nach, – man hielt ihn zurück. Das führerlose blinde Pferde stürzte mit seinem Reiter in die Tiefe.
Nadia und Nikolaus schrieen voll Entsetzen auf; sie mußten glauben, daß ihr unglücklicher Gefährte bei diesem Fall zerschmettert sei.
Als endlich nachgesehen wurde, traf man Michael Strogoff außer dem Sattel und unverwundet, während das Pferd zwei Füße gebrochen hatte und völlig dienstuntauglich geworden war.
Man ließ es an der Stelle verenden, ohne ihm den Gnadenstoß zu geben, und band Michael Strogoff an den Sattel eines Tartaren fest, so daß er dem Detachement zu Fuße folgen mußte.
Ihm entlockte es keine Klage, keinen Widerspruch! Er wanderte schnellen Schrittes, so daß sich der Strick, der ihn mit den Reiter verband, kaum anspannte. Er blieb immer »der Mann von Eisen«, von dem General Kissoff dem Czaren gesprochen hatte.
Am nächsten Tage, dem 11. September, erreichte der kleine Zug den Flecken Chibarlinskoë.
Hier trug sich ein Ereigniß zu, das von sehr ernsten Folgen werden sollte.
Die Nacht war gekommen. Während einer Stunde der Rast hatten die tartarischen Reiter sich mehr oder weniger betrunken. Sie wollten jetzt wieder aufbrechen.
Da wurde Nadia, welche bis jetzt wie durch ein Wunder von den Soldaten achtungsvoll behandelt worden war, von einem derselben insultirt.
Das führerlose, blinde Pferd stürzte mit seinem Reiter. (S. 319.)
Michael Strogoff zwar sah weder die Beleidigung, noch den Beleidiger, aber Nikolaus hatte diesen für ihn gesehen.
Ganz ruhig, ohne es sich weiter zu überlegen und ohne sich von seiner That Rechenschaft zu geben, schritt Nikolaus gerade auf den frechen Burschen zu, und bevor dieser eine Bewegung machen konnte, ihn aufzuhalten, ergriff Jener eine in der Satteltasche steckende Pistole und schoß sie dem Tartaren mitten auf die Brust ab.
Nadia musterte alle diese Leichen. (S. 324.)
Der die Abtheilung commandirende Officier kam auf den Knall des Schusses herzugelaufen.
Die Reiter wollten den unglücklichen Nikolaus erwürgen, doch auf ein Zeichen des Officiers begnügte man sich, ihn zu fesseln, band ihn quer auf ein Pferd, und fort ging es wieder in tollem Galop.
Der Strick, mit dem Michael Strogoff angebunden war und der schon halb durchnagt sein mochte, riß bei der unerwartet heftigen Bewegung des Pferdes, und sein halb betrunkener Reiter sprengte in wildem Laufe hinaus, ohne es nur gewahr zu werden.
Michael Strogoff und Nadia befanden sich allein auf der Landstraße.
Neuntes Capitel.
In der Steppe.
Noch einmal also waren Michael Strogoff und Nadia frei, so wie während ihrer Reise von Perm bis nach den Ufern des Irtysch. Wie sehr hatte sich aber Alles verändert! Damals gewährleisteten ihnen ein bequemer Tarantaß, eine häufig gewechselte Bespannung und mit allem Nothwendigen ausgestattete Poststationen eine gewisse Schnelligkeit der Fahrt. Jetzt zogen sie zu Fuß dahin, ohne die Möglichkeit, sich ein Beförderungsmittel zu verschaffen, ohne alle Hilfsmittel, ohne zu wissen, auf welche Weise sie nur die dringendsten Lebensbedürfnisse befriedigen würden, – und dabei trennten sie noch 400 Werst von ihrem endlichen Ziele. Hierzu kam noch, daß Michael Strogoff nur durch die Augen Nadia’s sah.
Den Freund, den ihnen ein glücklicher Zufall zuführte, hatten sie unter den traurigsten
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