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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Umständen wieder verloren.
    Michael Strogoff lagerte auf der Böschung der Straße; Nadia stand daneben und wartete auf ein Wort von ihm, um den Weg wieder fortzusetzen.
    Es war um zehn Uhr Abends. Vor drei und einer halben Stunde schon verschwand die Sonne unter dem Horizonte. Kein Haus, keine Hütte zeigte sich. In der Ferne verschwanden die letzten Tartaren. Michael Strogoff und Nadia standen ganz, ganz allein.
    »Was werden sie mit unserem Freunde anfangen? rief Nadia. Armer Nikolaus! Das Zusammentreffen mit uns mußte Dir so verhängnißvoll werden!«
    Michael Strogoff erwiderte nichts.
    »Michael, fuhr Nadia fort, weißt Du es nicht, daß er Dich zu schützen suchte, als Du ein Spielball der Tartaren warst, daß er sein Leben für Dich wagte?«
    Michael Strogoff schwieg noch immer. Regungslos, den Kopf in die Hand gestützt, hing er seinen Gedanken nach. Hörte er überhaupt, da er keine Antwort gab, was das junge Mädchen zu ihm sprach?
    Gewiß, denn als Nadia hinzufügte,
    »Wohin soll ich Dich führen, Michael? antwortete er:
    – Nach Irkutsk.
    – Auf der großen Landstraße?
    – Ja, Nadia.«
    Michael Strogoff vermochte nichts von dem eidlich bekräftigten Vorhaben, sein Ziel unter allen Umständen zu erreichen, abzubringen. Auf der Landstraße gelangte er auf kürzestem Wege dahin. Wenn sich die Avantgarde von Feofar-Khan’s Heer zeigte, würde es noch Zeit sein, den Hauptweg zu verlassen.
    Nadia faßte Michael Strogoff an der Hand und Beide brachen auf.
    Am folgenden Morgen, dem 12. September, gönnten sie sich nach einem Marsche von zwanzig Werft in dem Flecken Tulunowskoë eine kurze Rast. Die ganze Nacht hindurch hatte Nadia aufmerksam nachgesehen, ob Nikolaus’ Leichnam vielleicht an der Straße liegen geblieben sei; doch vergeblich durchsuchte sie die Ruinen und musterte die da und dort angetroffenen Todten. Bis jetzt schien Nikolaus verschont geblieben zu sein. Gewiß sparte man ihn für eine grausame Hinrichtung nach Erreichung des Lagers bei Irkutsk auf.
    Erschöpft vom Hunger, der ihren Gefährten ebenso schrecklich quälte, war Nadia so glücklich, in einem Hause des halb abgebrannten Fleckens etwas trockenes Fleisch und mehrere »Sukharis« (d.s. Brode, welche durch Verdunstung ausgetrocknet ihre Nährfähigkeit auf unbegrenzte Zeit bewahren) aufzufinden. Michael Strogoff und Nadia beluden sich mit einem so großen Vorrath hiervon, als sie eben zu tragen vermochten. Ihre Nahrung war also für mehrere Tage gesichert, und Wasser konnte ja in einer Gegend, welche tausend kleine Zuflüsse zur Angara durchrieselten, nicht leicht fehlen.
    Sie begaben sich wieder auf den Weg. Michael Strogoff ging sicheren Schrittes weiter und verlangsamte diesen höchstens ein wenig mit Rücksicht auf seine Begleiterin, während diese sich eifrig bemühte, nicht zurück zu bleiben Glücklicher Weise konnte ihr Gefährte ja nicht sehen, in welch beklagenswerthen Zustand die Anstrengung sie versetzt hatte.
    Michael Strogoff schien es jedoch zu fühlen.
    »Deine Kräfte gehen zu Ende, armes Kind, sagte er manchmal.
    – O nein, antwortete sie.
    – Wenn Du nicht mehr gehen kannst, werde ich Dich tragen, Nadia.
    – Ja wohl, Michael.«
    Im Laufe dieses Tages mußten sie einen kleinen Fluß, die Oka, überschreiten. Dieser bot aber eine passirbare Furth, so daß sie ohne Schwierigkeiten an’s andere Ufer kamen.
    Der Himmel war bedeckt, die Temperatur erträglich; freilich drohte die Witterung mit Regen, der die Beschwerden der Fußreise sicher nur vermehrte. Einige Regenschauer stellten sich auch schon ein, gingen aber ziemlich schnell vorüber.
    So zogen sie rastlos weiter, treulich Hand in Hand, ohne viele Worte zu wechseln, wobei Nadia stets nach vor-und nach rückwärts sorgsam auslugte. Zweimal des Tages machten sie Halt und ruhten sechs Stunden lang während der Nacht. In einigen Hütten entdeckte Nadia auch noch einiges Schaffleisch, welches hier so gewöhnlich ist, daß ein Pfund desselben nur zwei und eine halbe Kopeke kostet.
    Aber ganz wider Michael Strogoff’s noch immer genährte Hoffnung fand sich kein Zug-oder Saumthier in der ganzen Umgegend. Pferde und Kameele waren alle getödtet oder geraubt. Zu Faß mußten sie die Reise durch die grenzenlose Steppe fortsetzen.
    Spuren von jener dritten tartarischen Heeresabtheilung, welche schon auf Irkutsk zu marschirte, fehlten nirgends. Hier lag ein todtes Pferd, dort stand ein verlassener Wagen. Die Körper der unglücklichen Sibirier bezeichneten die

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