Der Courier des Czar
Vorsprung, der von Bedeutung werden konnte, wenn das Relais mit nur wenigen Pferden versehen war. Zwei Wagen zu bespannen, das verlangte vielleicht mehr, als der Postmeister, wenigstens kurze Zeit nach einander, wohl zu leisten vermochte.
Eine halbe Stunde später sah man die weit überholte Berline kaum noch als ein Pünktchen am Horizonte der Steppe.
Es war acht Uhr Abends, als die beiden Tarantaß am Posthause, gleich am Eingange der Stadt Ischim, anlangten.
Die Nachrichten über den Einfall lauteten immer und immer schlimmer. Die Stadt selbst war schon unmittelbar von der Vorhut der Tartarenhausen bedroht und schon vor zwei Tagen hatten sich die Staatsbehörden auf Tobolsk zurückgezogen. Ischim besaß jetzt weder einen Beamten noch einen Soldaten.
Michael Strogoff verlangte sofort nach der Ankunft bei dem Relais für sich frische Pferde.
Er hatte sehr wohl daran gethan, die Berline noch auszustechen. Gerade drei Pferde nur waren in dem Zustande, sogleich angeschirrt zu werden. Die anderen lagen erschöpft von irgend einem kurz zuvor zurückgelegten langen Wege in den Stallungen.
Der Postmeister gab Befehl, den Tarantaß zu bespannen.
Die beiden Correspondenten brauchten sich um sofortige Weiterbeförderungsmittel nicht zu sorgen, da sie es für gerathen hielten, vorläufig in Ischim zu verweilen; sie ließen also nur ihren Wagen in einer Remise des Posthofes unterbringen.
Zehn Minuten nach der Einfahrt in das Relais erhielt Michael Strogoff die Meldung, daß sein Tarantaß zum Abfahren bereit sei.
»Gut«, erwiderte er.
Dann wendete er sich zu den beiden Journalisten.
»Meine Herren, begann er, da Sie in Ischim zu bleiben gedenken, ist wohl die Zeit des Abschieds für uns gekommen.
– Wie, Herr Korpanoff, antwortete Alcide Jolivet, werden Sie sich nicht ein Stündchen lang auch in Ischim aufhalten?
– Nein, Herr Jolivet, es liegt mir etwas daran, das Posthaus verlassen zu haben, bevor die von uns überholte Berline hier eintrifft.
– Fürchten Sie, daß der nachkommende Reisende Ihnen die Postpferde streitig machen könnte?
– Ich suche gern jede Schwierigkeit zu vermeiden.
– Dann, Herr Korpanoff, sagte Alcide Jolivet, hätten wir nur nochmals für den uns geleisteten Dienst zu danken, sowie für das Vergnügen, welches es uns bereitete, mit Ihnen zu reisen.
– Es ist übrigens möglich, setzte Harry Blount hinzu, daß wir uns nach Verlauf einiger Tage in Omsk wieder begegnen.
– Das könnte wohl sein, bestätigte Michael Strogoff, da ich direct dorthin abgehe.
– Also glückliche Reise, lieber Herr Korpanoff, sagte Alcide Jolivet, und Gott bewahre Sie vor allen Telegs.«
Die beiden Correspondenten ergriffen die Hände Michael Strogoff’s, um sie ihm zum Abschiede recht warm und herzlich zu drücken, als von draußen das Heranrollen eines Wagens hörbar wurde.
Fast gleichzeitig ward das Thor des Gebäudes stürmisch aufgerissen und erschien in demselben eine männliche Gestalt.
Es war das der Insasse jener Berline, ein Mann von militärischem Aussehen, der gegen vierzig Jahre zählen mochte, von hoher, kräftiger Gestalt, mächtigem Kopfe, breiten Schultern und mit einem martialischen Schnurrbart, der unmittelbar in den röthlichen Backenbart überging. Er trug eine Uniform ohne Gradabzeichen. Ein Cavalleriesäbel hing an seiner Seite und eine Peitsche mit kurzem Stiel hatte er in der Hand.
»Pferde! rief er mit herrischem Tone, aus dem man seine Gewohnheit zu befehlen leicht heraushörte.
– Ich habe augenblicklich keine Pferde zur Verfügung, antwortete der Postmeister mit einer höflichen Verbeugung.
– Ich brauche solche aber im Augenblick.
– Es ist unmöglich.
– Was sind das für Pferde, welche ich eben vor der Thür des Relais an den Tarantaß gespannt sah?
– Sie sind von diesem Reisenden belegt, erwiderte der Postmeister mit einem Hinweis auf Michael Strogoff.
– So spanne man sie wieder ab! …« sagte der Reisende in einem Tone, der jeden Widerspruch fast abschnitt.
Michael Strogoff trat einen Schritt vor.
»Jene Pferde sind von mir bestellt, sagte er.
– Thut nichts! Ich brauche sie! Vorwärts – lebhaft! Ich habe keine Zeit zu verlieren.
»Vertheidige Dich – ich schone Dich nicht.« (S. 146.)
– Mir ist jeder Augenblick nicht minder kostbar«, erwiderte Michael Strogoff, der ruhig bleiben wollte und sich doch nur mit Mühe zurückhalten konnte.
Nadia trat an seine Seite. Auch sie erschien äußerlich ruhig und doch fürchtete sie
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