Der Cyberzombie
Cybermantie.
Er wußte nicht, wie das möglich war, aber aus welchem Grund auch immer, er war dankbar. Er verbrachte nicht mehr alle seine Wachstunden in einer dumpfen Benommenheit.
Mit schrillem Jaulen setzte sich der Lastzug in Bewegung, wie Burnout es gehofft hatte. Er lief aus dem Büro, wobei er nur kurz innehielt, um den Predator an sich zu nehmen, während der Lastzug beschleunigte. Burnout sprang auf, als der letzte Hänger des Lastzugs die Lichtinsel auf dem Platz des Depots verließ.
Er hielt sich an der Leiter fest, dann kletterte er hinter den breiten Schild des Spoilers. Mit seinem dritten Arm hakte er sich in die Verstrebungen des Spoilers ein und setzte sich. Die Fahrt würde nicht sehr lange dauern.
Das Jaulen der Sirenen, das stetig lauter geworden war, wurde wieder leiser. Das war gut. Angesichts der Zerstörung des Hauptterminals würden die Cops wahrscheinlich annehmen, daß er sich in die Wildnis abgesetzt hatte. Nur ein Narr würde versuchen, auf einem dieser Lastzüge mitzufahren. Ein Narr oder jemand, der stark genug war, sich trotz aller Widrigkeiten während der unruhigen Fahrt festzuhalten. Weil die Lastzüge von Spatzenhirnen gesteuert wurden, konnten sie mit unglaublicher Geschwindigkeit fahren und Kurven so schnell nehmen, daß dabei schon einmal ein paar G Querbeschleunigung auftraten. Nichts für Schwächlinge.
Außerdem würden die Cops eine Zeitlang brauchen, bis sie sich die Aufnahmen der Überwachungskameras des Depots angesehen hatten. Bis dahin würde Burnout den Lastzug und den Zuständigkeitsbereich der Cops längst verlassen haben. Zweifellos mußte er sich Sorgen wegen Ryan Mercury und auch wegen dieser Azzie-Hubschrauber machen, aber bis es einem von ihnen gelang, seine Spur aufzunehmen und ihn aufzuspüren, würde er längst vorbereitet sein.
Der Wind heulte in seinen Ohren, als der Lastzug seine Reisegeschwindigkeit erreichte. Burnout fühlte sich gut, und es war das erstemal seit langer, langer Zeit, daß er so empfand.
»Macht es dir etwas aus, wenn ich frage, wohin wir gehen?«
Burnout mochte den Geist mit jedem verstreichenden Tag mehr. Er konnte die Veränderungen förmlich spüren, die in ihm stattfanden. Vor Lethe hatte er seine Zeit in wütender Stimmung oder auf Drogen verbracht. Immer am Rande der Explosion, niemals stabil. Niemals beherrscht.
Jetzt war so viel Magie um ihn und in ihm, daß er praktisch erwacht war. Wo er zuvor nur gehandelt hatte, verstand er jetzt. Er kannte den Preis seiner Cybermantie, seines Lebens jenseits der Grenzen des Erlaubten. Und er träumte davon, seine Magie zurückzuerlangen.
Er erinnerte sich an den alten Getty, den ersten Magier, den er gefunden hatte, der bereit war, dafür zu sorgen, daß er all den schamanistischen Hokuspokus wieder verlernte, den der Kodiak ihm beigebracht hatte. Der alte Getty hatte damit begonnen, den jungen Billy Madson auf den richtigen Weg zu seiner Magie zu bringen. Es war Getty, der ihn gelehrt hatte, sich auf die Methode zu konzentrieren und nicht auf Empfindungen, der ihm jedesmal, wenn er in seine alten Gewohnheiten abglitt, mit einem langen dünnen Stock auf die Finger gehauen hatte. Getty hatte ihn gelehrt, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und nach der Zukunft zu greifen und nach allem, was sie bereithielt.
Burnout faßte sich an die Seite, wo das Herz unter dem Duster hing. Preßte es an sich. Er konnte die Macht förmlich riechen, die dort untätig wartete.
Mana!
Burnout lächelte. »Ich sage dir, wohin wir gehen, Lethe.« »Wir gehen zurück in die Zeit der alten Meister und der neuen Magie. Zurück zu den Anfängen.«
11
Der Mond war fast voll, und sein Licht schien in horizontalen Linien durch die Schlitze der Jalousien und auf die Laken. Ryan lag wach in dem großen Bett. Er hatte nur ein paar Stunden geschlafen und war von Träumen über Dunkelzahns Tod aufgewacht.
Er stieg aus dem Bett und stand nackt im Mondlicht. Er betrachtete die schlafende Nadja. Ihr dunkles Haar war über das weiße Kopfkissen ausgebreitet, und ihr Gesicht hatte einen schlaffen, unvorteilhaften Ausdruck angenommen.
Er lächelte. Diese Unschuld im Schlaf, dachte er. Könnte ich doch lange genug vergessen, um mich auch einmal so auszuschlafen.
Ryan wandte sich ab und ging zu der breiten Doppeltür, die sich auf den Privatbalkon öffnete. Er trat in die kühle Luft, schaute auf Nadjas persönlichen Hof hinunter und genoß die Kälte des Marmors unter seinen Füßen.
Der Wind strich sanft
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