Der Dämon, die Zeitmaschine und die Auserwählten (Zehn Namen) (German Edition)
ist keine Schande. Wir alle lernen. Auch ich alter Kerl noch. Jeden Tag. Naja, zurück zu den Menschen. Ich war also schließlich hier. Dem Krieg feige entflohen. Aber ich bin nun mal nie ein Held gewesen. Wollte nie einer sein. Ich hab mir hier alles angeschaut. Ohne ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Ich kannte ja nichts und niemanden hier. So habe ich vieles, wenn auch noch lange nicht alles kennengelernt. Das Orakel, die Kasathenstadt, den Alten, der eine Brücke ist, die faulen Runken im Norden, die tausendfüßigen Talatieden in den Wäldern im Süden. Ich habe die Sümpfe und ihre Bewohner kennen gelernt, das ewige Eis und nahezu unendliche Wüsten. Unzählige Wesen habe ich kennengelernt. Gute und Böse. Schöne und Hässliche. Alles findet hier seinen Platz, obwohl keiner weiß, ob der Platz, den man eben noch im Westen wähnte, nicht plötzlich im Osten liegt. Aber dazu später. Schließlich kam ich während einer meiner Wanderungen hier in dieses Dorf der Tranjans. Sie gefielen mir auf Anhieb und gefallen mir noch immer. Das ganze Dorf machte einen Rieseneindruck auf mich. Die Freundlichkeit und der Lebensstil der Bewohner! Sie waren einfach wundervoll. Keiner lebte nur für die Arbeit allein. Das Vergnügen und das harmonische Dasein untereinander stand und steht im Vordergrund. Irgendwie haben mich die Burschen an die Bewohner der Bretagne in Frankreich erinnert. Natürlich nicht äußerlich, aber ihre Lebenseinstellung war augenscheinlich die gleiche. Naja, und weil die Lieben es nicht für nötig hielten, Namen zu tragen, habe ich sie schließlich alle mit französischen Namen bedacht. Eben wegen des Lebensstils, den sie an den Tag legten. Noch nicht einmal gesprochen haben sie. Unterhielten sich untereinander nur über die verschiedenen Töne, die ihre schönen Stimmen erzeugen. Aber mir zuliebe haben sie gesprochen. Es war sensationell, wie schnell sie meine Sprache beherrschten. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Leider sind wir Menschen nicht in der Lage, Töne wie die Tranis zu erzeugen, aber sie sprechen wie wir. Auch untereinander, damit wir uns nicht ausgegrenzt vorkommen. Ist dir übrigens schon einmal aufgefallen, das man sich hier in dieser seltsamen Dimension mit jedem Fremden mehr oder weniger problemlos unterhalten kann? Alle sprechen verschiedene Sprachen und Dialekte, wenn sie unter sich sind. Und trotzdem spricht auch jeder die gemeinsame Sprache, hat sie quasi mit der Muttermilch aufgenommen.“
„Und diese Sprache ist Deutsch? Das kann ich kaum glauben.“
„Und doch ist es so“, erwiderte Harry. „Zumindest scheint es dir und mir so. Womöglich hört ja auch jeder was anderes. Quasi die Sprache, die er gerade hören will. Ich habe bis heute nicht herausgefunden, wie das alles genau informiert. Ist aber auch eigentlich egal, oder? Hauptsache, es klappt.“
„Das war mir noch gar nicht bewusst gewesen. Aber jetzt, wo du es sagst, kommt es auch mir unglaublich vor. Doch es ist wohl auch besser so, wenn man jeden hier versteht. Zumindest den Worten nach, der Sinn bleibt oft im Verborgenen, wenn ich an die Gedichte und Sprüche denke, die wir schon zu Hören und zu Sehen bekommen haben, seitdem wir hier sind.“
„Du hast Recht. Verstehen ist nicht immer gleich verstehen. Aber mit den Tranis verstand ich mich auf Anhieb glänzend. Nichts Falsches ist an ihnen. Ein ehrliches, liebenswertes Volk. So verbrachte ich dann schließlich einen Sommer und einen Winter bei ihnen. Doch dann packte mich wieder meine angeborene Neugier. Ich hatte alle sehr liebgewonnen, so dass ich traurig war, als ich sie verließ. So vieles hatte ich von ihnen gelernt und trotz ihrer äußerlichen Kälte soviel Wärme erfahren, wie nie zuvor. Aber es war stärker. Ich musste weiter. Immer weiter. Ich ging anschließend hoch in die Berge. Kletterte hinüber und erblickte endlich das Meer. Das Meer der sprechenden Fische. Ich wollte und musste hinüber, um mehr vom Nichts zu sehen. Jedoch fand ich keinen Weg. Ich schlief am Ufer ein und erwachte am nächsten Morgen – oder wie viel Nichtzeit inzwischen auch immer vergangen sein mochte – auf der anderen Seite eben jenes Meeres. Irgendetwas war in der Nacht geschehen. Irgendwer hatte mich über das Wasser gebracht. Ich weiß bis heute nicht, wer das war, und wie es geschah! Diese Nacht fehlte am Morgen darauf komplett in meinem Gedächtnis. Vielleicht hatte es ja auch genau so und nicht anders sein müssen. Also ging ich einfach weiter.
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