Der Dämon, die Zeitmaschine und die Auserwählten (Zehn Namen) (German Edition)
Westen ab und wird dort die Alte finden, die ihr die richtige Zahl kundtut. Ist die Letzte guten Mutes, folgt sie danach dem falschen Weg zur richtigen Tür, um die Welten vor ihrem Ende zu schützen.
Nun war der Zeitpunkt gekommen, die Prophezeiung zu erfüllen. Vor sieben Tagen waren viele Menschen des Dorfes unter den Bunten Bergen begraben worden. Das Böse war offensichtlich unterwegs, und ein Erdbeben schließlich hatte den alten Haam um Mitternacht aus dem Schlaf hochschrecken lassen. Er war der vorletzte Überlebende seiner Familie. Die Letzte war Lisa, seine Enkelin, deren Eltern, wie so viele andere, im Berg ihr tragisches Ende gefunden hatten. Ob seine Familie von diesem letzten Priester des alten Tempels abstammte, konnte Haam nicht nachvollziehen, nahm es aber an, da auch dies vorhergesehen worden war. Zwar verstand auch er nicht alles, was auf dieser Schriftrolle festgehalten worden war, doch eines war klar: Die Letzte, also seine Enkelin, hatte sich heute noch auf den Weg Richtung Norden zu machen, um das Böse daran zu hindern, die Welt, die er kannte und liebte zu vernichten. Er liebte seine Lisa noch viel mehr, doch durfte er ihr die Entscheidung nicht abnehmen. Er war gespannt, ob sie sich der Aufgabe stellen würde. Und noch mehr fürchtete er ihre Entscheidung, denn er glaubte, dass sie Ja sagen würde. Bald würde sie aufwachen und dann war es Haams Aufgabe, sie in die Prophezeiung einzuweihen. Danach war sein Anteil an der Geschichte erledigt. Und eine neue Geschichte würde beginnen.
Lisa schlug die Augen auf, als die ersten Sonnenstrahlen im Fenster ihrer Hütte erschienen und sie warm an der Nase kitzelten. Sofort bemerkte sie, dass sie allein war und gleich fiel ihr auch der Grund dafür wieder ein: Ihre Eltern waren tot. Gestorben vor einer Woche bei einem unfassbaren Unglück im Bergwerk. Und mit ihnen so viele andere gute Männer und Frauen, die sich in den Höhlen der Bunten Berge etwas hinzuverdienen wollten. Doch welch hohen Preis hatten sie dafür bezahlt? Lisa stiegen Tränen in die Augen. Nicht zum ersten Mal in diesen Tagen. In der vergangenen Nacht hatte sie von Mutter und Vater geträumt. Und nicht nur von ihnen. In ihrem Traum gab es zudem ein Erdbeben, und sie wurde von etwas unsichtbarem Bösen verfolgt. Sehr verwirrend war das Ganze. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und die finsteren Träume aus dem Gedächtnis. Früher hatte sie nie solch seltsame Träume gehabt. Lisa schwang die Beine aus dem Bett, wusch sich und zog sich ihr weißes Lieblingskleid an, das ihre Mutter ihr einst geschneidert hatte. Wieder war Lisa den Tränen nah. Doch tapfer hielt sie die salzige Flut erneut zurück, denn sie hatte, wie jeden Morgen, etwas zu erledigen. Sie bereitete das Frühstück aus Brot, Käse, Eiern und Milch zu und stellte alles auf ein Tablett. Damit balancierte sie aus der Hütte heraus und machte sich auf den Weg zur Behausung ihres Großvaters, ihrem letzten lebenden Verwandten. Die Sonne war kaum aufgegangen an diesem Morgen, so dass sie die Einzige war, die zwischen den Hütten unterwegs war. Nur eine streunende schwarze Katze lief ihr über den Weg, bis sie in der Nähe des Ruinenhügels angelangt war, in dessen Schatten Großvaters Behausung lag. Sicher war dieser schon wach, und so trat sie nach kurzem Anklopfen in die Dämmerung der kleinen Hütte hinein.
Lisa war ein dreizehnjähriges, hübsches Mädchen mit langem rötlichen Haar, blasser Hautfarbe und unzähligen Sommersprossen. In letzter Zeit blickten ihre sonst vor Lebensfreude sprühenden, grünen Augen meist ernst und traurig drein. Bis zum Tod ihrer Eltern war sie ein lustiges und freundliches Mädchen gewesen. Ihre Freundlichkeit hatte sie sich bewahrt, doch war ihr der Spaß am Leben auf grauenvolle Weise genommen worden. Nun hatte sie nur noch ihren Großvater, den sie sehr schätzte und liebte.
Haams Hütte bestand nur aus einem einzigen Raum, der mit einem Bett sowie einem Tisch, zwei Stühlen und einer großen Holztruhe spärlich möbliert war. Zudem fand sich ein Kochherd, ein Regal mit alten Büchern und eine Öllampe darin. Eine Vorratsraum benötigte der alte Haam nicht, da sich bis vor einer Woche sein Sohn und seine Schwiegertochter um sein leibliches Wohl gekümmert hatten. Und nun übernahm Lisa diese Aufgabe. Sie tat es gern. Sie stellte das Tablett auf den Tisch und schaute sich um. Keine Spur von Großvater; nur die niedrige Hintertür der Hütte stand einen Spalt weit offen.
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